Der Medicus von Saragossa
der Espinas gegangen war und dann zur Abtei zur Himmelfahrt Mariä, nur um diese ebenfalls verlassen zu finden.
Espina nickte. Es schien ihn nicht zu überraschen, daß man die Abtei zur Himmelfahrt Mariä aufgegeben hatte. »Eines Morgens wurden Fray Julio Perez, der Mesner, und zwei bewaffnete Wachen ermordet vor der Kapelle gefunden. Und die Reliquie der Santa Ana fehlte. Es gibt hier tiefe Unterströmungen in der Kirche, junger Toledano, die grausam genug sind, um Leute wie dich und mich bedenkenlos zu verschlingen. Rodrigo Kardinal Lancol ist kürzlich unser neuer Oberhirte geworden, Papst Alexander VI. Seine Heiligkeit hat es sicher nicht einfach so hingenommen, daß eine Abtei eine so heilige Reliquie abhanden kommen läßt. Die Mönche wurden bestimmt über den ganzen Hieronymiten-Orden verstreut.«
»Und Prior Sebastian?«
»Du kannst sicher sein, daß er kein Prior mehr ist und an einen Ort geschickt wurde, wo er sein Priesteramt unter widrigen Umständen ausüben muß«, entgegnete Espina. Dann lächelte er bitter. »Vielleicht haben die Diebe die Reliquie mit dem Ziborium vereinigt, das dein Vater angefertigt hat.«
»Was sind das für Männer, die die Sünde eines Mordes begehen, um einen heiligen Gegenstand zu stehlen?« fragte Jona, und Espina lächelte müde.
»Unheilige Männer, die sich selbst den Anschein der Heiligkeit geben. In der ganzen Christenheit haben die Frommen immer viel Glauben und Hoffnung in Reliquien gesetzt. Es gibt einen umfangreichen und ertragreichen Handel mit solchen Dingen und tödliche Kämpfe um sie.«
Espina erzählte nun, wie Padre Sebastian ihn beauftragt hatte, die Umstände des Mordes an Meir zu untersuchen. Es war schwer für Jona zu hören, was der Arzt am Schauplatz des Mordes an Meir herausgefunden hatte, und dann berichtete Espina von seinem Verhör durch Fray Bonestruca, den Inquisitor.
»Bonestruca? Der mit dem Buckel? Ich habe erfahren, daß es Bonestruca war, der den Pöbel aufgehetzt und zu meinem Vater geschickt hat. Und auch ich selbst habe diesen Bonestruca schon einmal gesehen«, sagte Jona.
»Er hat ein merkwürdig schönes Gesicht, nicht wahr?« erwiderte Espina. »Aber seine Seele muß eine schwerere Last tragen als diesen Buckel auf seinem Rücken. Ein Mann wie er vernichtet bereitwillig jeden, der etwas erfährt, das ihn in Schwierigkeiten bringen könnte. Als ich nach dem Verhör wieder freigelassen wurde, wußte ich, daß ich weggehen mußte, sonst würde er mich wieder verhaften lassen, und diesmal endgültig. Ich bereitete eben die Abreise vor, als Padre Sebastian nach mir schickte. Als der Prior mir sagte, daß die Reliquie verschwunden sei, war es, als hätte der Wahnsinn ihn gepackt. Er weinte. Er trug mir auf, die Reliquie wiederzubeschaffen, als stünde das in meiner Macht, wenn ich es nur wollte. Er zeterte über die Unglaublichkeit des Verbrechens und flehte mich an, alles zu tun, um die zu finden, die ihm so grausam mitgespielt hatten.«
Espina schüttelte den Kopf. »Ich war überzeugt, daß man mich verhaften würde, wenn ich auch nur einen Augenblick länger in Toledo bliebe. Ich bat meine Frau, mit unseren Kindern bei Verwandten Schutz zu suchen, und floh.«
»Wohin seid Ihr gegangen?«
»Nach Norden, ins Hochgebirge. Ich fand verborgene Orte und wanderte von einer kleinen Siedlung zur anderen, wo die Menschen froh waren, einen Arzt zu sehen.«
Jona konnte sich gut vorstellen, daß diese Leute sich gefreut hatten. Er erinnerte sich an die Behutsamkeit, mit der dieser Mann seine Mutter behandelt hatte, und auch daran, daß sein Vater gesagt hatte, Espina habe bei Samuel Provo gelernt, dem großen jüdischen Arzt.
Espina hatte ein edles Leben im Dienst an anderen geführt. Obwohl er die Religion seiner Väter aufgegeben hatte, war er ein ehrenwerter Mann, ein Heiler. Und doch war er verdammt. Jona fragte sich, ob man diese Konvertiten vielleicht retten konnte, aber er sah keinen Weg. Nachts wurden sie von Gato bewacht, einem niederträchtigen Mann, der den ganzen Tag schlief und die Zellen nach Einbruch der Dunkelheit mit hinterhältiger Wachheit beobachtete. Und falls Jona tagsüber die Gelegenheit bekommen sollte, den schlafenden Paco mit seiner angespitzten Hacke zu töten, würden weder die Gefangenen noch er selbst sehr weit kommen, wenn sie aus Ciudad Real zu fliehen versuchten. Die Stadt glich einem Heerlager. Wenn Gott wollte, daß sie gerettet würden, hätte er Jona einen Weg gezeigt.
»Wie lange dauerte es, bis
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