Der Meister des Drakung-Fu
Oberkörper.
Kerul streckte den Arm aus und stupste Bajar mit dem Zeigefinger an. Bajar kippte in Zeitlupe nach hinten. Im letzten Moment fing er sich mit den Armen ab. Doch da hatte Kerul sich schon befreit.
Bajar sah verschwommen, wie Kerul aufstand, sich in die Luft erhob und auf einen Baum zuflog. Schwankend und mit weichen Knien kämpfte sich Bajar auf die Beine. Er streckte die zitternden Arme zur Seite und hob ebenfalls vom Erdboden ab. Auch wenn seine Sinne benebelt waren, er war ein Drakung-Fu-Kämpfer, und ein Drakung-Fu-Kämpfer gab niemals auf. Egal, mit welcher stinkenden Geheimwaffe ihm der Gegner auch zusetzte.
Als Kerul sah, dass Bajar die Verfolgung aufgenommen hatte, legte er einen Zahn zu. Bajar beschleunigte ebenfalls. Zwar sackte er mehrmals beim Fliegen nach unten weg, aber ansonsten wirkte er nicht mehr so benommen wie zuvor. Vermutlich ließ die Wirkung des Rülpsers langsam nach.
Kerul flog direkt auf einen Baum zu. Es war der Baum, auf dem die beiden Krieger gekämpft hatten. Kerul erkannte den Spalt im Baumstamm deutlich. Er kniff die Augen zu und schätzte die Größe der Lücke schnell ab. Es musste einfach klappen. Für alles andere war es zu spät. In der nächsten Sekunde schoss Kerul durch den Spalt im Baum.
Bajar steuerte ebenfalls mit Höchstgeschwindigkeit auf den Baum zu. Er sah noch, wie Kerul durch den Spalt verschwand. Dann tauchte er selbst kopfüber in die Lücke ein, genau wie Kerul nur eine Sekunde zuvor. Genau wie Kerul schoss Bajar mit dem Kopf auf der anderen Baumseite wieder heraus. Doch im Gegensatz zu Kerul folgte der Rest des Körpers nicht ganz.
Ein Ruck ging durch Bajar, als er mit seinem kräftigen Rumpf mitten im Baumspalt stecken blieb. Er versuchte, sich zu drehen. Er zog den Bauch ein. Er wackelte mit den Beinen. Und mit dem Po. Er stieß sich mit den Armen am Baumstamm ab. Vergebens. Er steckte im Baum wie eine Bockwurst im Brötchen.
Durch die Zuschauermenge ging ein überraschter Aufschrei.
Kerul wartete noch einen Moment ab. Als er sich sicher war, dass sich Bajar nicht mit eigenen Kräften aus dem Baumspalt befreien konnte, trat er an den Baum. »Bajar Gangbatar, gestehst du deine Unterlegenheit ein und erkennst meine Macht an?«, fragte Kerul mit fester Stimme.
Bajar stemmte sich ein letztes Mal mit den Händen am Baumstamm ab. Er drückte, bis sein Kopf so rot war wie die Abendsonne über der Wüste Gobi. Sein Körper bewegte sich kein Stück vor oder zurück. Er blähte sich auf und versuchte, den gesamten Baum mit der Kraft seines Körpers zu sprengen. Doch der Baum rührte sich nicht. Er knarzte noch nicht einmal. Bajar saß fest. Gefangen von seinem Gegner. Besiegt zu werden war schlimm genug. Aber dabei hilflos in einem Baum festzustecken und wie ein Baby mit Armen und Beinen zu strampeln, war noch viel schlimmer.
Bajar hob den Blick und musterte Kerul einen Moment. Ihm wurde bewusst, dass er eine der wichtigsten Drakung-Fu-Regeln nicht beachtet hatte: Unterschätze niemals einen Gegner und wirkt er auch noch so schwach. Bajar schloss kurz die Augen. Dann öffnete er sie und sagte laut und deutlich: »Ich, Bajar Gangbatar, gestehe meine Unterlegenheit ein und erkenne die Macht von Kerul Tschagatai Jugur Selenga an.«
Zunächst blieb alles still am Rand der Senke. Die meisten Zuschauer begriffen nur langsam, was soeben vor ihren Augen geschehen war. Manche meinten noch jetzt, der neue Drakung-Fu-Meister würde im Baum feststecken und nicht davorstehen.
Erst als Dschingbiss Zhan vortrat, den Knochenstab hob und rief: »Der neue Drakung-Fu-Meister steht fest! Hoch fliege Kerul Tschagatai Jugur Selenga!«, brach die Menge in Jubel aus. Sie hatten einen neuen Meister! Und was für einen ungewöhnlichen!
Kerul wurde auf unzähligen Händen in die Mitte der Senke geflogen. Seine Mutter kam kaum dazu, ihn liebevoll an der Nase zu ziehen, wie es unter miteinander vertrauten Vampgolen Brauch war.
Nara-Venja befreite ihren enttäuschten Bruder aus dem Baumspalt, während in der Senke die Festlichkeiten begannen.
So sehen
Sieger aus
D ie meisten Bewohner von Ulan-Vampor konnten noch immer nicht glauben, dass der seltsame Kerul der neue Drakung-Fu-Meister sein sollte. Aber sie mussten eingestehen, dass er geschickt gekämpft hatte, indem er sich die geheime Luftwaffe bis zum Schluss aufgehoben hatte. Überhaupt – es war einer der spannendsten Kämpfe seit Jahren gewesen. In letzter Sekunde hatte Kerul, den alle schon für den Unterlegenen
Weitere Kostenlose Bücher