Der Meister und Margarita
Alpträumen das alte Jerschalaim und den von der Sonne verbrannten wasserlosen Schädelberg mit den drei Gerichteten am Pfahl vorgegaukelt. Er und seine Bande hatten Margarita Nikolajewna und ihr Hausmädchen Natascha aus Moskau verschwinden lassen. Diesem Fall übrigens ging die Untersuchungsbehörde besonders sorgfältig nach. Sie mußte ja feststellen, ob die beiden Frauen von der Mörder- und Brandstifterbande geraubt worden oder ob sie freiwillig mit der verbrecherischen Gesellschaft davongelaufen waren. Aus den wirren und grotesken Aussagen Nikolai Iwanowitsehs und dem verrückten Zettel, den Margarita Nikolajewna ihrem Mann zurückgelassen hatte und in dem sie schrieb, sie gehe davon, um Hexe zu werden, und schließlich aus dem Verschwinden von Natascha, die alle ihre Kleidungsstücke zurückgelassen hatte, folgerte die Untersuchungsbehörde, sowohl die Frau als auch das Hausmädchen seien wie so viele andere hypnotisiert und in diesem Zustand von der Bande entführt worden. Dabei spielte auch der wahrscheinlich ganz richtige Gedanke mit, die Verbrecher könnten von der Schönheit der beiden Frauen verlockt worden sein.
Eines aber blieb der Untersuchungsbehörde völlig unklar, nämlich warum die Bande aus der psychiatrischen Klinik den Geisteskranken geraubt hatte, der sich Meister nannte. Das Motiv blieb unergründlich, wie es auch nicht gelang, den Namen des Entführten zu ermitteln. Er war für immer verschwunden, und zurück blieb nur die tote Signatur — Nummer hundertachtzehn aus Block eins.
Es war also fast alles geklärt, und die Untersuchung ging zu Ende, wie überhaupt alles zu Ende geht.
Ein paar Jahre verstrichen, und die Bürger vergaßen allmählich Voland, Korowjew und die anderen. Viele Veränderungen vollzogen sich im Leben derer, die unter Voland und seinen Spießgesellen zu leiden hatten, und so klein und unbedeutend diese Veränderungen auch waren, sie seien doch erwähnt.
George Bengalski zum Beispiel verbrachte drei Monate in der Klinik, dann wurde er als geheilt entlassen, aber die Arbeit im Variete mußte er aufgeben, und das in der heißesten Zeit, als das Publikum nur so herbeiströmte, um Karten zu bekommen: die Erinnerung an die Schwarze Magie und ihre Entlarvung war doch noch sehr lebendig. Bengalski gab das Variete auf, denn er sah ein, daß es zu qualvoll war, allabendlich vor zweitausend Menschen hinzutreten, unvermeidlich erkannt zu werden und immer wieder die hämische Frage zu hören, wie es denn nun besser sei, mit oder ohne Kopf.
Ja, und außerdem hatte der Conferencier einen bedeutenden Teil seines Frohsinns eingebüßt, der bei seinem Beruf unerläßlich ist. Geblieben war die fatale, lästige Gewohnheit, in jedem Frühjahr bei Vollmond in Unruhe zu verfallen, sich plötzlich an den Hals zu greifen, sich ängstlich umzusehen und zu weinen. Diese Anfälle gingen vorüber, aber er konnte doch seinen früheren Beruf nicht mehr ausüben. So setzte er sich zur Ruhe und lebte von seinen Ersparnissen, die nach seiner vorsichtigen Schätzung fünfzehn Jahre reichen mußten. Er zog sich zurück und traf nie wieder mit Warenucha zusammen, der sich allgemeine Popularität und Zuneigung erworben hatte mit seiner selbst bei Theateradministratoren unwahrscheinlichen Höflichkeit und Verbindlichkeit. Die Freikartenjäger zum Beispiel nannten ihn ihren Vater und Wohltäter. Wer auch immer im Variete anrief und gleichgültig zu welcher Zeit, stets ertönte im Hörer die weiche, aber traurige Stimme: "Ich höre." Auf die Bitte, Warenucha ans Telefon zu rufen, antwortete dieselbe Stimme eilig: "Am Apparat." Aber Warenucha hatte zu leiden ob seiner Höflichkeit!
Stjopa Lichodejew braucht nicht mehr im Variete anzurufen. Gleich nach seiner Entlassung aus der Klinik, in deV er acht Tage verbracht hatte, wurde er nach Rostow versetzt, wo man ihn mit der Leitung eines großen Feinkostladens betraute. Die Fama will wissen, daß er keinen Portwein mehr trinkt, sondern nur noch Johannisbeerknospenschnaps, was ihn sehr kräftigen soll. Es heißt, er sei schweigsam geworden und meide die Frauen.
Seine Entfernung aus dem Variete bereitete Rimski nicht die Freude, von der er jahrelang so sehnsüchtig geträumt hatte. Nach dem Aufenthalt in der Klinik und einer Kur in Kislo-wodsk bat der steinalt gewordene Finanzdirektor mit wackelndem Kopf um seine Entlassung aus dem Variete. Interessant ist, daß das Entlassungsgesuch von seiner Ehefrau im Variete abgegeben wurde. Er selber fand nicht mal am
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