Der Meister und Margarita
Tag die Kraft, das Haus aufzusuchen, in dem er das mondlichtübergossene gesprungene Fenster und den langen Arm gesehen hatte, der nach dem unteren Riegel grapschte.
Nach seiner Entlassung ging der Finanzdirektor zum Puppentheater im Stadtteil Samoskworetschje. In diesem Theater hatte er in Sachen Akustik nichts mehr mit dem ehrenwerten Arkadi Apollonowitsch Semplejarow zu tun. Dieser war kurzerhand nach Brjansk versetzt und zum Leiter einer Pilzaufkaufsstelle ernannt worden. Jetzt essen die Moskauer gesalzene Reizker und marinierte Steinpilze und sind des Lobes voll und freuen sich dieser Versetzung über alle Maßen. Es ist ja nun vorbei, und darum kann man sagen, die Akustik war bei Semplejarow nicht so recht in Fluß gekommen, und sosehr er sich bemüht hatte, sie zu verbessern, sie war geblieben, wie sie gewesen war. Zu den Personen, die mit dem Theater brachen, ist neben Semplejarow auch Nikanor Iwanowitsch Bossoi zu nennen, obwohl dieser außer seiner Vorliebe für Freikarten nichts mit dem Theater zu tun hatte. Ins Theater geht Nikanor Iwanowitsch weder für Geld noch umsonst, mehr noch, sein Gesicht verzerrt sich bei jeder Erwähnung des Theaters. Nicht in geringerem, eher in noch stärkerem Maße als das Theater haßt er den Dichter Puschkin und den talentierten Schauspieler Sawwa Potapo-witsch Kurolessow. Diesen haßt er in solchem Maße, daß er im vergangenen Jahr, als er in der Zeitung die schwarzumrandete Mitteilung las, Kurolessow sei in der Blüte seiner Laufbahn vom Schlag getroffen worden, so dunkelrot anlief, daß er beinahe dem Schauspieler gefolgt wäre, und brüllte: "Geschieht ihm recht!" Mehr noch, Nikanor Iwanowitsch, dem der Tod des beliebten Schauspielers eine Masse drückender Erinnerungen brachte, betrank sich am selben Abend ganz fürchterlich nur in Gesellschaft des Vollmondes, der die Sadowaja beschien. Mit jedem Glas verlängerte sich vor ihm die verfluchte Kette verhaßter Gestalten, und in dieser Kette waren Sergej Gerardowitsch Duntschil und die schöne Ida Herkulanowna und der rothaarige Besitzer der Kampfgänse und der ehrliche Nikolai Kanawkin. Nun, was war mit ihnen allen geschehen? Ich bitte Sie! Nichts geschah mit ihnen, konnte auch gar nicht, denn sie hatten nie existiert, ebensowenig wie der sympathische Schauspieler-Conferencier und das Theater und die alte Geizschnepfe Tante Po-rochownikowa, die im Keller Devisen vermodern ließ, und natürlich hatten auch die goldenen Trompeten und die frechen Köche nicht existiert. All das hatte Nikanor Iwanowitsch unter dem Einfluß des Schurken Korowjew nur geträumt. Der einzige aus seinem Traum, der wirklich existierte, war Kurolessow, der Schauspieler, und er hatte sich nur deshalb in den Traum gedrängt, weil Nikanor Iwanowitsch ihn von seinen zahlreichen Vorträgen im Radio her kannte..Er existierte, die anderen nicht. Also hatte vielleicht auch Aloisi Mogarytsch nicht existiert? O doch! Er hatte nicht nur existiert, er existiert noch, und er bekleidet den Posten, auf den Rimski verzichtet hatte, das heißt den Posten des Varietefinanzdirektors.
Er war etwa vierundzwanzig Stunden nach seinem Besuch bei Voland irgendwo in der Nähe von Wjatka im Zug wieder zu sich gekommen und hatte festgestellt, daß er in einer Bewußtseinstrübung von Moskau weggefahren war; er hatte vergessen, die Hosen anzuziehen, aber dafür unbegreiflicherweise das völlig nutzlose Hausbuch seines Vermieters gestohlen. Für eine enorme Summe erwarb Aloisi beim Schaffner eine speckige alte Hose und fuhr von Wjatka wieder zurück. Das Häuschen seines Vermieters fand er leider nicht mehr vor. Die alte Bude war von einem Feuer weggeleckt worden. Aber Aloisi war ein Mensch mit ungewöhnlichem Unternehmungsgeist. Zwei Wochen später bewohnte er bereits ein schönes Zimmer in der Brjussowski-Gasse, und nach wenigen Monaten saß er auf Rimskis Stuhl. Hatte früher Rimski unter Stjopa zu leiden, so bereitete jetzt Aloisi dem Warenucha Qualen. Dieser träumt nur davon, daß man Aloisi aus seinen Augen entferne, denn, wie Warenucha gelegentlich in intimer Gesellschaft flüstert, ein solches Aas wie diesen Aloisi habe er noch nie erlebt, und es gebe nichts, worauf man bei diesem Aloisi nicht gefaßt sein müsse.
Übrigens ist der Administrator möglicherweise voreingenommen. Man kann Aloisi keine dunklen Taten nachsagen, eigentlich überhaupt keine Taten, wenn man nicht rechnet, daß er an Stelle von Andrej Fokitsch Sokow einen andern zum Kantinenwirt ernannte.
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