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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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unterhalten. Alice liebt klassische Musik über alles. Wir besorgen uns jedes Jahr ein Abonnement für das Symphonieorchester.«
    Evelyn lächelte traurig. »Dann sind Sie leider auch ein Dinosaurier, fürchte ich.«
    Als sie aufstanden, entdeckte Rizzoli auf dem Sitz vor ihr ein Hochglanz-Programmheft. Sie hob es auf. »Stehen die Ghents hier auch drin?«, fragte sie.
    »Schlagen Sie Seite fünf auf«, sagte Evelyn. »Da. Das ist ihr PR-Foto.«
    Es war ein Bild von zwei Verliebten.
    Karenna, schlank und elegant in einem schulterfreien schwarzen Abendkleid, blickte zu den lächelnden Augen ihres Mannes auf. Ihr Gesicht strahlte, ihr Haar war tiefschwarz wie das einer Spanierin. Alexander sah mit einem jungenhaften Lächeln auf sie herab; eine widerspenstige Locke seines weißblonden Haars fiel ihm über das eine Auge.
    Evelyn sagte leise: »Sie waren wunderschön, nicht wahr? Es ist seltsam, wissen Sie. Ich bin nie dazu gekommen, mich einmal in Ruhe mit ihnen zu unterhalten. Aber ich kannte ihre Musik. Ich habe mir ihre Aufnahmen angehört, und ich habe sie dort unten auf der Bühne musizieren sehen. Sie können eine ganze Menge über einen Menschen erfahren, wenn Sie sich seine Musik anhören. Und das, was mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, das ist ihr empfindsames Spiel. Ich denke, das ist das Wort, mit dem ich auch die beiden charakterisieren würde. Sie waren zwei so empfindsame Menschen.«
    Rizzoli blickte zur Bühne und stellte sich Alexander und Karenna am Abend ihres Konzerts vor. Ihr schwarzes Haar, das im Scheinwerferlicht glänzte, das warme Schimmern seines Cellos. Und ihre Musik, wie die Stimmen zweier Liebenden, die füreinander sangen.
    »Ihr Konzertabend hier«, sagte Frost, »war also schlecht besucht, sagten Sie?«
    »Ja.«
    »Wie viele Zuschauer hatten Sie?«
    »Ich glaube, wir haben etwa vierhundertfünfzig Karten verkauft.«
    Vierhundertfünfzig Augenpaare, dachte Rizzoli, alle auf die Bühne gerichtet, auf zwei ins Scheinwerferlicht getauchte Liebende. Welche Gefühle hatten die Ghents bei ihrem Publikum ausgelöst? Das Vergnügen, zwei glänzenden Interpreten zuzuhören? Die schiere Freude am Anblick eines verliebten Paares? Oder hatten sich im Herzen eines Zuhörers in diesem Saal auch andere, finstere Gefühle geregt? Gier. Neid. Das quälende Verlangen, etwas zu besitzen, was einem anderen Mann gehört.
    War es ihre Schönheit, die dich auf sie aufmerksam gemacht hat? Oder die Tatsache, dass die beiden ineinander verliebt waren?
     
    Sie trank schwarzen Kaffee und blickte nachdenklich auf die Toten, die sich auf ihrem Schreibtisch stapelten. Richard und Gail Yeager. Die rachitische Frau. Alexander Ghent. Und der blinde Passagier, der zwar offiziell nicht mehr als Mordopfer galt, ihr aber dennoch keine Ruhe ließ. Jeder Tote ging ihr nahe, jede in dieser nie enden wollenden Prozession von Leichen, die alle um ihre Aufmerksamkeit wetteiferten. Jeder hatte seine eigene Geschichte des Grauens zu erzählen – wenn Rizzoli nur bereit und in der Lage gewesen wäre, tief genug zu graben, um ihnen allen auf den Grund zu gehen. Aber sie hatte schon so lange gegraben, dass all die Toten, mit denen sie je zu tun gehabt hatte, sich zu vermischen begannen wie Skelette in einem Massengrab.
    Als am Mittag das DNA-Labor sie anrief, war sie froh um die Gelegenheit, wenigstens für kurze Zeit dem anklagenden Aktenstapel auf ihrem Schreibtisch zu entkommen. Sie verließ das Büro und ging den Korridor entlang zum Südflügel.
    Das DNA-Labor war in S235 untergebracht, und der Kriminologe, der sie angerufen hatte, war Walter de Groot, ein blonder Niederländer mit einem bleichen Mondgesicht. Normalerweise zuckte er zusammen, wenn er Rizzoli nur hereinkommen sah, denn wenn sie sich bei ihm blicken ließ, war es fast immer, um beschwörend auf ihn einzureden und ihn zu drängen, sich doch mit diesem oder jenem DNA-Profil ein wenig zu beeilen. Heute aber empfing er sie mit einem breiten Grinsen.
    »Ich habe das Autoradiogramm entwickelt«, sagte er. »Da drüben hängt es.«
    De Groot nahm den radioaktiv bearbeiteten Röntgenfilm mit der Darstellung von DNA-Fragmenten von der Leine, auf der er zum Trocknen aufgehängt war, und klemmte ihn an den Lichtkasten. Sie erblickte mehrere parallele Säulen aus unregelmäßigen dunklen Flecken.
    »Was Sie hier sehen, ist das VNTR-Profil«, erklärte er. »Die Abkürzung steht für variable numbers of tandem repeats. Ich habe die DNA aus den verschiedenen Quellen,

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