Der Meisterdieb
herum auf einen anderen, größeren Tisch zu rannte. Nur die Schmuckstücke schlugen klirrend gegeneinander.
Mit leisem Knirschen öffnete sich der Deckel.
Die Truhe war voller Becher, Teller, Schüsseln und deiner Öllampen. Jedes Stück war von erlesener Kostbarkeit. Aber ich konnte nur den geringsten Teil davon wegschleppen. Also fing ich an, die kleineren Kostbarkeiten in den Beutel einzufüllen. Ich arbeitete schnell und versuchte, den Wert der Diebesbeute richtig abzuschätzen.
Ich hob einen kleinen, herrlich gearbeiteten Kelch in die Höhe und hielt ihn ins Licht der Kerzen. Die blauen Edelsteine funkelten und strahlten und warfen kleine Blitze in alle Richtungen. Diesmal würde mich Aagolf wohl kaum prügeln.
Ich fühlte plötzlich einen Luftzug hinter mir, dann bohrte sich die Spitze einer Waffe in meinen Nacken. Eine leise Stimme sagte: »Einen solch jungen Dieb habe ich noch nie erlebt. Sarphand ist in der Tat voller Überraschungen.«
Vor mir, an der weißen Wand, hob sich ein verschwommener Schatten hoch. Es schien eine junge Frau zu sein. Fieberhaft überlegte ich, wie ich mich retten konnte – die Magd der Prinzessin hatte mich ertappt.
Ich ließ den Beutel auf den Teppich fallen und drehte mich ganz langsam um. Die Dolchspitze wanderte von meinem Genick zum Hals. Als ich den Kopf hob, liefen Tränen aus meinen Augen. Ich schluckte, blinzelte und würgte hervor:
»Ich… bin kein Dieb… Prinzessin?«
Vor mir stand Prinzessin Sheba-Nocciyah – niemand anders konnte das sein. Sie trug ein enganliegendes, hellblaues Gewand, das ihre Arme, die Schultern, den Hals und die Mitte ihres schlanken Körpers frei ließ. Ihre Augen schienen Funken zu sprühen, aber die schlanke Hand, die mir den Dolch in den Hals bohrte, zitterte nicht.
»Wie bist du ins Haus gekommen?« fragte sie, noch immer gefährlich leise. Dann bewegten sich ihre Augen in die Richtung des Fensters. »Ich verstehe«, sagte sie. »So war es. Du bist klein genug, um…«
»Sie… sie haben mich gezwungen!« flüsterte ich, und ich verbiss mein Lachen, als ich merkte, dass meine Tränen weiter flossen. »Sie hätten mich sonst gepeitscht oder getötet. Glaub mir, Prinzessin.«
Sie war unglaublich schön und sehr jung. Sie mochte keine zwanzig Sommer zählen. Sie war selbstbewusst und würde nicht zögern, mich zu töten. Ich erkannte dies sofort.
»Wirf das Zeug aufs Bett!« befahl sie.
Ich leerte den Sack aus, nahm die Reifen vom Handgelenk und hob die funkelnden Ketten von meinem Hals. Ununterbrochen liefen mir die Tränen über die Wangen. Ich sagte mit weinerlicher Stimme: »Bitte, töte mich nicht, Prinzessin.«
»Woher kommst du?«
»Aus einer Höhle. Dort leben die Diebe. Sie haben mich gezwungen. Ich musste dich bestehlen.«
Ich sah, dass uns niemand beobachtete. Die Tür war verschlossen und verriegelt. Ein Fluchtversuch war sinnlos und selbstmörderisch. Aber aus dem Gesicht der Prinzessin verschwand die eiserne Entschlossenheit, mich, den Dieb, zu bestrafen. Ich schenkte der Prinzessin ein schüchternes Lächeln und zog die Schultern hoch.
»Danke!« sagte ich erleichtert. Sie blickte mich mit ihren wunderschönen Augen unter den bogenförmig geschwungenen Brauen schweigend an und fragte dann spöttisch: »Wofür dankst du mir?«
»Dass du mich nicht umgebracht hast. Es ist eine gerechte Strafe. Aber auch sie hätten mich…«
»Ich weiß. Du hast tatsächlich die wertvollsten Stücke. Wer hat dich gelehrt, was wertvoll ist?«
»Die anderen Diebe. Wenn du mich hinausjagst, werden sie mich umbringen.«
»Warum?«
»Weil ich versagt habe.«
»Eure Bräuche sind hart. Du tust mir fast leid.«
»Ich wollte nicht. Sie zwangen mich. Stoße mich nicht aus dem Palast«, bettelte ich.
»Sollte ich das?«
Sie schien in mir keine Gefahr mehr zu sehen, denn sie schob den kleinen Dolch in die kostbar verzierte Scheide zurück. Dann setzte sie sich auf den Rand des Bettes und starrte mich unverwandt an. Sie schien zu überlegen, was sie mit mir anfangen sollte. Ich stand regungslos da und hoffte, dass meine Vorstellung gut genug gewesen sei. Meine Lippen zuckten, gleich würde ich in lautes Wimmern ausbrechen. Ich fing zu zittern an. Noch immer beobachtete mich die blutjunge, schöne Frau mit den großen Mandelaugen. Ihr Blick war fester als der König Aagolfs. Jetzt merkte ich, dass mir all meine Raffinesse und jede Verstellungskunst nichts nützten, wenn die Prinzessin nicht wollte.
»Ich werde meinen Prinzen bitten,
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