Der Meisterdieb
dich im Haus zu behalten. Wenn du größer bist, wirst du einen guten Eunuchen abgeben. Dieses Zimmer wirst du niemals wieder betreten. Verstanden?«
»Ja. Prinzessin, eine Frage! Darf ich?« stammelte ich.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Kam ich ohne Beute zurück, würde ich bestraft werden. Für eine Weile war ich wohl im Palast sicher. Das Schicksal allerdings, das sie mir zugedacht hatte, würde ich sicherlich nicht annehmen.
»Frage!« sagte sie und lächelte zum erstenmal.
»Du bist die schönste Frau, die ich in Sarphand gesehen habe. Warum hast du mich überraschen können? Ich habe gute Ohren.«
Sie hob ihre zierlichen Schultern und antwortete halb schnippisch: »Ich kann manches, was du nicht weißt. Du kannst dich entscheiden… Dein Name?«
»Arruf.«
»Entscheide dich: Du kannst hierbleiben, aber du wirst mein Diener. Wenn du von einem Angehörigen dieses Hauses ertappt wirst, wenn du etwas Verbotenes in den Fingern hast, ergeht es dir wahrhaftig schlecht. Ich glaube, du hast verstanden.«
»Ich werde dir jeden Wunsch von deinen schönen Augen ablesen!« sagte ich beschwörend. Sie hatte angebissen. Ich war gerettet – so schien es. Die Prinzessin ging mit schwingenden Hüften zur Tür, hob den komplizierten Riegel hoch und deutete hinaus. »In der Küche bekommst du etwas zu essen. Schlafen wirst du bei dem jungen Gärtner. Morgen bei Sonnenaufgang wirst du erfahren, was du zu tun hast.«
Ich ging langsam hinaus. Gerade rechtzeitig erinnerte ich mich, dass ich hinter den Falten meines Lendenschurzes einen Ring versteckt hatte. Ich blieb stehen, senkte den Kopf und fingerte das Schmuckstück hervor und lächelte mit meinem schönsten, unschuldigsten Lächeln mitten in ihr Gesicht.
Dann legte ich den Ring in ihre Hand. »Du siehst, Prinzessin, dass ich schnell lerne. Ich bin nichts anderes als ein kleiner, hungriger Dieb. Aber dich könnte ich niemals mehr bestehlen.«
»Ein Umstand«, sagte sie unheilvoll, »der dein Leben retten mag.«
Wir beide hielten unsere Versprechen. Ich war zum zweitenmal in meinem Leben in einem Palast und hatte ein wirklich besseres Leben als in den letzten Jahren. Wenige Pflichten, stets in der Nähe einer jungen Frau, die sich benahm, als sei sie meine ältere Schwester! Sie versuchte, mich auf meine zukünftige Aufgabe vorzubereiten. Bei Shakar hatte ich Rechnen und Schreiben gelernt, ich hatte das Betteln begriffen, meine Schultern waren gegerbt von den verschiedenen Erziehungshilfen, und jetzt lernte ich das Zeremoniell eines kleinen Palastes kennen. Prinzessin Sheba-Nocciyah vertraute mir tatsächlich. Und in der kommenden Zeit lernte ich, wie man sich bei Tisch richtig verhielt, wie man höflich zu Damen war, wie ich mich in einem so großen Haushalt zu bewegen hatte. Es war ein süßes Leben für mich.
Und ich verliebte mich, ein Zwölfjähriger ohne Eltern und von unbekannter Herkunft, in die Prinzessin.
Es war in meinem Leben die erste wirklich ehrliche Beziehung. Ich wurde nicht gezwungen und nicht geprügelt. Ich vollbrachte, einigermaßen kaltblütig, eine einsame Spitzenleistung der Phantasie und der Zurückhaltung. Überall strahlte Luxus und blendete meine Diebesaugen. Zweimal kam der Prinz auf Besuch und musterte mich mit hohläugigen Blicken. Im Geist schien er bereits sein Messer zu wetzen, das mich zum Eunuchen machen sollte. Tage, Wochen und Monde vergingen ruhig, und nur ab und zu erschreckte mich der Gedanke, was meine früheren Freunde und vor allem König Aagolf von mir dachten.
Zweifellos hockten sie in ihrer Höhle und warteten, siedend vor Wut, auf mich und auf die Beute, die ich nicht abgeliefert hatte.
Ich fühlte mich wohl; noch hatte mich der Dämon der Unrast nicht gepackt. Meine Existenz war wurzellos. Auch hier konnte und würde ich nicht bleiben. Ich hatte andere Pläne. Unausgegoren waren sie allerdings, aber wie ein Traum leiteten sie mich, wie ein ununterbrochener Traum, der mir sagte, dass ich mein Leben nicht als Eunuch in diesem ruhigen, schönen Palast beenden würde… allerdings auch nicht als König der Diebe. Ich hatte ein neues Ziel: Ich würde solche Frauen wie die Prinzessin lieben. Noch war ich zu jung dazu, und noch hatten andere Männer die besseren Möglichkeiten – mehr Gold, mehr Macht, mehr Einfluss! Aber die Zeit, erkannte ich damals, verlief für jeden in der gleichen Geschwindigkeit. Eines Tages würde ich alt genug und reich genug sein, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Klug genug war ich
Weitere Kostenlose Bücher