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Der Meisterdieb

Der Meisterdieb

Titel: Der Meisterdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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Nacht verwischte alle meine Erinnerungen.
    Luxon blickte seinen leeren Becher an, als sei es ein Fremdkörper.
    Kalathee, Sadagar und Mythor schwiegen. Mythor verglich seine eigene Jugend mit der Jugend Luxons, und er musste sich sagen, dass der andere Mann das Leben zwangsläufig aus einer anderen Warte sehen musste. Er selbst war vergleichsweise heiter und behütet aufgewachsen, und auch diesen Teil von Luxon-Arrufs Erzählungen glaubte er unbesehen. Es war klar, logisch und verständlich, dass Luxon anders handeln musste als er selbst.
    Samed war in seinem Sessel eingeschlafen; auf einen Wink Luxons kam einer der weißgekleideten und schweigenden Leibwächter, hob den Jungen vorsichtig hoch und trug ihn in die kühle Dunkelheit des Palastes zurück.
    Luxon sprang auf die Füße, warf einer Sklavin den Becher in den Schoß und sagte, als berühre ihn diese Geschichte nicht im mindesten: »Freunde! Es ist Abend und Nacht geworden in Sarphand. Wir gehen alle im Schutz meiner dolchbewaffneten Wächter aus. Ich kenne eine herrliche, volksnahe Taverne. Es ist Der Strudel und die Lichtfähre. Sie werden uns mit Tanz, Getränken, Leckerbissen und einer Vielzahl von Attraktionen verwöhnen. Kommt mit mir. Ihr werdet Sarphand von einer der schönsten Seiten kennenlernen! Kommt! Selbst du, Sadagar, deine Miene wird sich aufhellen.«
    »Meinetwegen!« knurrte der Steinmann.
    Auch er versuchte sich aus den Bildern und Eindrücken dieser Erzählung zu lösen. Er wusste, dass, wenn auch nur die Hälfte zutraf, dieser Mann Arruf etwas ganz Besonderes war. Sein Lebensweg verlief im Zickzack zwischen der Gosse und den Palästen, zwischen Armut und Reichtum, zwischen Hunger und Übermaß. Er konnte gar nicht anders sein, als er war – er war stark, reich und listenreich geworden. Er war weder besser noch schlechter als Freund Mythor.
    Aber er war gänzlich anders.
    Sadagar stand auf und zupfte an seiner schwarzen, samtenen Jacke. Im Licht der Öllampen funkelten und blitzten die silbernen magischen Symbole in Perlmuttstickerei.
    »Gehen wir!« sagte er. »Auch ich möchte einen lebenden Teil von Sarphand kennenlernen. Und unter der Führung Arrufs erleben wir Sarphand bei Nacht gewiss an der spannendsten Stelle. Führe uns an eine Stelle, Arruf-Luxon, an der glutäugige Mädchen meiner harren.«
    Luxon strahlte ihn mit dem Lächeln an, mit dem er seinerzeit den Köder für die Diebesbande des König Aagolf abgegeben haben mochte. Er sagte knapp: »Genau dorthin bringe ich euch. Selbst meinen mürrischen Freund Mythor werde ich mit diesem Abend verzaubern. Und dort erzähle ich euch auch die Geschichte von Sheba-Nocciyah. Einverstanden?«
    »Meinetwegen«, knurrte Mythor.
    *
    Zwei weißgekleidete Palastwachen saßen am Rand der offenen Terrasse. Sie hatten die Hände an den edelsteinverzierten Griffen ihrer Dolche. Zwei andere lehnten sich in der Nähe des Holzkohlenfeuers an die Lehnen der steinernen Bänke. Über der Stadt und der offenen Hälfte der Schenke leuchteten die blinkenden Sterne von Sarphand und der Saphirbucht. Die verschiedenfarbigen Lichter in der Bucht bewegten sich langsam im Takt der Dünung. Die Hausboote im Hafen waren so weit entfernt, dass keinerlei Einzelheiten mehr zu erkennen waren. Luxon und seine Dienerinnen aber hatten vor dem Ausflug aus dem Palast das Aussehen der vier Menschen verändert; Sadagar glich einem Leibwächter, Mythors Gesicht war dunkel gefärbt worden, sein Haar seitlich zu einem dicken Zopf gebunden, Luxon selbst wirkte wie ein zerknitterter Greis und trug abgerissene Kleidung. Und Kalathee, ebenfalls bis zur Unkenntlichkeit geschminkt, war nichts anderes als eine schamlose Palastsklavin. Die Gruppe saß in einem Winkel, abseits der anderen Gäste, und der Lärm im Strudel verhinderte, dass Wortfetzen der Unterhaltung von Ohren gehört wurden, für die sie nicht bestimmt waren.
    Trotzdem befanden sie sich mitten im Gewimmel der nächtlichen Stadt.
    »Sheba-Nocciyah«, sagte Luxon träumerisch und hob seinen Becher. Dunkles Bier schäumte über dessen Rand.
    »An keine andere Frau erinnere ich mich so eindringlich.«
    Fünf Musiker saßen auf einer schmalen Balustrade im Hintergrund der Schenke und spielten auf kleinen Trommeln, einer Doppelflöte, einer Harfe und einem trichterförmigen Horn, das Mythor nicht kannte.
    »Spann uns nicht auf die Folter!« sagte Sadagar. »Wie groß sind die Unterschiede zwischen dem Sarphand deiner Jugend und heute?«
    »Sarphand war kleiner, es gab viele

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