Der Memory Code
hat man vierundzwanzig Stunden in eine Zelle gesteckt. Du warst der einzige Zeuge in zwei Mordfällen und drüben in Italien des Lebens nicht mehr sicher. Wir hatten noch Schwein, dass sie uns so schnell haben ausreisen lassen. Sie hätten uns – oder zumindest dich – auch als Hauptzeugen dabehalten können.”
“Wir haben zu schnell aufgegeben.”
“Sag mal, hörst du mir nicht zu? Jemand hat den Professor umgebracht und die Steine gestohlen! Und du hast ihn gesehen!”
“Ich habe eine Gestalt gesehen, und diese Gestalt wurde vor meinen Augen abgeknallt!”
“Aber von wem? Und weswegen? Die Gefahr ist noch lange nicht gebannt, Josh!”
“Eine mögliche Bedrohung stört mich nicht so wie die Vorstellung, die Steine könnten verloren sein. Ich muss erfahren, wer ich bin, wer ich war … Und ich dachte schon, ich wäre nahe dran. Gott, ich würde alles tun, um sie zu bekommen!”
“Na, bin ich froh, dass du das nicht in Gegenwart von Tatti gesagt hast. Dann wären wir nämlich nie im Leben aus Italien rausgekommen.” Malachai starrte ihn finster an.
“Du glaubst doch nicht etwa, ich hätte was mit dem Raub zu tun?”, fragte Josh konsterniert.
“Natürlich nicht. Aber ich weiß ja, wie sehr du dich mit deinen Albträumen herumgequält und vielleicht geglaubt hast, die Steine würden dich davon befreien. Da könnte ich mir schon vorstellen, dass sie einer klaut, weil er meint, sie wären die Lösung.”
“Ich hatte damit nichts zu tun.”
“Woher wusstest du eigentlich an dem Morgen, wo sich das Grab befand?”
Zweifelte Malachai jetzt etwa auch an ihm? Die italienische Polizei tat es. Sie hatte allerdings nichts in der Hand, um ihn mit der Tat in Verbindung zu bringen. Während Josh in Untersuchungshaft saß, hatte Tatti ja gerade nach solchen Indizien geforscht, nach einem Fitzelchen Beweis. Eine verrückte Sekunde lang fragte sich Josh, ob er bei seinen morgendlichen Streifzügen durch Rom in einen psychotischen Zustand verfallen und den Überfall gar arrangiert hatte. Schlimmer noch: dass er sich womöglich eine Waffe besorgt und die Tat eigenhändig begangen haben könnte. Vielleicht bildete er sich das mit dem Stollen ja nur ein und den Schuss auf Professor Rudolfo genauso. Wer sich Szenen aus dem alten Rom zusammenfantasiert, und zwar in allen Details bis hin zum Geschmack des Wassers und dem in der Luft liegenden Geruch, der kann doch durchaus auch in eine dissoziative Identitätsstörung verfallen, in eine Art Fluchttrieb, und dann ein abscheuliches Verbrechen begehen. Das wäre doch möglich. War Josh mit seinem verzweifelten Streben nach Antworten etwa über die dünne Linie geraten, die den Psychopathen vom geistig Gesunden trennt?
Am liebsten wäre er in sein Büro gegangen, um endlich mit dem Telefonieren anzufangen und Gabriella zu finden. Er kannte sie kaum. Aber der Drang, mit ihr zu sprechen und sich um sie zu kümmern war zwar nicht logisch, aber echt.
Beim Aufstehen stieß er sich das Schienbein an dem verzierten bronzenen Drachenkopf an Malachais Schreibtischfuß.
“Mistviech!”, fluchte er, vorübergehend von dem Schmerz aus der Fassung gebracht.
“Wie bitte?”, fragte Malachai betont.
“Ach, ich hab mich an der Tischkante gestoßen. Halb so wild.”
“Nein, du sagtest da eben etwas, als du dir das Bein wehgetan hast. Könntest du das bitte wiederholen?”
“Wie, was denn?” Josh überlegte. “Ach so, richtig. Sonderbarer Ausdruck. Weiß der Geier, woher ich den habe.
Mistviech
.”
Malachais Miene blieb zwar ungerührt, doch seine Stimme verriet sein Erstaunen. “Der Drachenkopf unten am linken Tischbein steht ein, zwei Zentimeter weiter vor als der rechte, und zwar genau in Höhe des Schienbeins der meisten Besucher. In den vergangenen hundert Jahren gehörte es schon zur Familientradition, sich an dem Ding das Bein zu stoßen und dann
‘Mistviech!’
zu rufen.”
“Na toll. Schon wieder so ein komischer Zufall. Mein Leben ist voll davon.”
“Nein, Josh. Inzwischen weißt du, dass es bei Reinkarnation keine Zufälle gibt. Alles ist Teil eines höheren Plans.”
“Ich werde versuchen, daran zu denken.”
“Es war bisher für keinen von uns leicht, nicht wahr? Wir sind beide scharf auf die Edelsteine. Ich frage mich, wer sie wohl mehr will? Du, weil du meinst, sie würden dir beim Verständnis einer Vergangenheit helfen, die du nicht begreifst? Oder ich, weil ich glaube, sie helfen mir, eine Gegenwart zu beweisen, die ich als Einziger
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