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Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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bereits in der Luft. Er spürte, wie der Strudel ihn erfasste und abwärts zog, hinunter zu flackerndem Kerzenlicht. Ein Gefühl gespannter Vorfreude wallte schon in ihm auf.
    Dann Angst. Die Gegenwart löste sich auf, und er glitt über hundert Jahre zurück in die Vergangenheit.
    Damen in tief dekolletierten Gewändern sowie befrackte Herren standen parlierend herum, nippten an Punschgläsern oder Champagnerflöten, die ihnen ein weiß behandschuhter Kellner reichte. Altmodische Klänge schwebten durch den Saal. An einer Wand erstreckte sich ein Büffet aus lauter Delikatessen: Berge von Austern, Schalen mit schimmerndem Kaviar, Schüsseln voll Oliven, Platten mit Braten und Geflügel.
    Percy Talmage verschmähte den Champagner und ließ sich stattdessen ein Glas Portwein bringen. Während er sich durchs Gedränge schlängelte, schnappte er Bruchstücke von Klatsch und Anzüglichkeiten auf. Einzig sein Onkel Davenport, der zusammen mit Stephen Cavendish in einer Ecke stand, schien in ein ernsthaftes Gespräch vertieft. Percy schob sich näher, sorgsam darauf bedacht, möglichst unauffällig zu bleiben. Er war ein Meister in der Kunst der Tarnung und verstand es hervorragend, sich so gut wie unsichtbar zu machen und seinen Onkel zu bespitzeln. Noch vor ein paar Jahren hätte er es für ausgeschlossen gehalten, dass er überhaupt fähig wäre zu solchen Täuschungsmanövern, wie sie inzwischen zu seinem täglichen Brot gehörten. Die Geheimgänge, die sein Vater zu seinem eigenen Vergnügen von den Baumeistern in die Villa hatte bauen lassen, kannte er inzwischen wie seine eigene Westentasche, und die magischen Künste, die er mit seinem Vater zur Kurzweil studiert hatte, erwiesen sich mittlerweile als unschätzbare Werkzeuge. Zauberkunststückchen waren der letzte Schrei in den Salons, und Percys Vater fand großes Vergnügen an ihnen. Er hätte vermutlich nicht schlecht gestaunt, hätte er noch erlebt, wie Percy sich ebendiese nunmehr zunutze machte. Bei dem Gedanken an seinen Vater stockte Percy der Atem. Er fehlte ihm nach wie vor, auch wenn sein Tod inzwischen acht Jahre zurücklag. Doch für Trauer war dies der falsche Zeitpunkt. Das Dossier mit den Beweisen, das er gerade zusammenstellte, wurde immer umfangreicher. Er begriff die Zusammenhänge zwar noch nicht ganz, aber er wusste, dass er dem Kern der Sache näherkam. Es fehlten nur noch ein paar Mosaiksteine, dann …
    “Wie in aller Welt kommen Sie auf die Idee, eine 19-Jährige könnte unsere Investitionen sichern, Davenport?”, grummelte Cavendish gerade. “Da hätte ich von Ihnen aber mehr erwartet.”
    “Machen Sie nicht den Fehler, meinen Plan zu unterschätzen, Cavendish. Das Geniale daran ist ja gerade seine Einfachheit.”
    “Das ist kein Plan, sondern ein Stück aus dem Tollhaus. Blackie ist ein gefährlicher Mann.”
    “Aber einer mit einer gewissen Schwäche. Und die nutze ich zu meinem Vorteil aus.”
    “Weiß Ihre Frau Gemahlin eigentlich, dass Sie ihre Tochter den Wölfen – besser gesagt, in diesem Fall dem Wolf – zum Fraß vorwerfen? Und zwar unseretwegen?”
    Davenport beugte sich vor und raunte etwas, das Percy nicht verstehen konnte, doch das hämische Gelächter, das der Bemerkung folgte, ging ihm durch Mark und Bein.
    Es drehte sich um Esme, Percys jüngere Schwester. Sie war vor einigen Wochen nach Europa gereist, um sechs Monate bei einem Privatdozenten in Rom Malerei zu studieren. Davenport hatte alles arrangiert: den Lehrer, eine Villa sowie eine Anstandsdame, hinter der sich seine Schwester verbarg, eine ältliche Jungfer. Er hatte sogar Esmes und Percys Mutter versichert, dass Titus Blackwell, der sich zur selben Zeit in Rom aufhielt und dort die archäologische Grabung des Phoenix Klubs leitete, ein Auge auf die junge Dame haben werde.
    Was mochte diese neue Erkenntnis zu bedeuten haben? Wie passte sie zu Percys bisherigen Erkenntnissen? Als es ihm einfiel, kam er sich vor wie ein Esel. Wieso hatte er nicht gleich gemerkt, dass Esmes Italienreise mit Blackwells Rom-Aufenthalt zu tun hatte? Gewiss, es war ihm nicht entgangen, dass der Finanzier auf Gesellschaften mit Esme plauderte, aber das tat ja jeder. Esme war aufgeweckt und lustig, flirtete auch gern, aber immer nur harmlos. Oder? Mit Titus hätte sie sich nicht eingelassen. Mit einem verheirateten Mann?
    Der Ausdruck auf Davenports Gesicht indes, der ließ einen anderen Schluss zu.
    Konnte es sein, dass Esme sich in Blackwell verguckt hatte? Rührten daher etwa die

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