Der Memory Code
er immer vergaß, sich einen Happen einzupacken, und deshalb hatte sie sich angewöhnt, ihm immer genau dasselbe zu kaufen wie sich selber.
Den Blick auf Frances gerichtet, versuchte er, sich zu konzentrieren und einen klaren Kopf zu bekommen. Alles war ein Rätsel in einem Rätsel. Und er befand sich in der Mitte. Verloren.
43. KAPITEL
N ew York City
–
Montag, 10:50 Uhr
Die Flut von Zeitungsartikeln über die Öffnung des Vestalinnengrabs, den Anschlag auf Professor Rudolfo, die beiden Morde und den Raub altertümlicher Kunstobjekte hatte offensichtlich weltweit Reinkarnationserlebnisse ausgelöst, und zwar bei Männern und Frauen gleichermaßen. Menschen, die nie zuvor etwas Derartiges erlebt hatten, berichteten von sonderbaren, bestürzenden Halluzinationen und meldeten Gesprächsbedarf an. Dass die Phoenix Foundation sowie Josh Ryder namentlich in den Zeitungsberichten erwähnt wurden – dank Charlie Billings, leider –, führte zu einem schier endlosen Strom von Anrufen, der vom frühen Morgen bis in den Nachmittag hinein nicht abriss.
Es fiel in Joshs Verantwortungsbereich, Anfragen von Erwachsenen entgegenzunehmen, die Hilfe wegen angeblicher Vorlebenserinnerungen suchten. Er erklärte den Anrufern dann immer, was Malachai auch ihm bei ihrer ersten Begegnung gesagt hatte: Die Stiftung hatte es sich schon seit Langem zum Prinzip gemacht, nicht mit Erwachsenen zu arbeiten. Man sah sich lediglich als eine Forschungseinrichtung, die Fälle von Reinkarnationserlebnissen bei Kindern dokumentierte. Erwachsene speicherten nach Ansicht von Dr. Beryl Talmage eine über Jahre aufgebaute Bildersymbolik, die sie möglicherweise mit Erinnerungen verwechselten oder durcheinanderbrachten. Josh verwies die Anrufer anschließend an bestimmte Beratungsstellen, die Meditationstechniken anboten, mit denen sich diese Episoden unter Umständen steuern ließen.
An diesem Morgen allerdings erwiesen sich die Telefongespräche als schwieriger. Josh verstand nur zu gut, wie verzweifelt und verstört die Anrufer waren. Er war ja persönlich betroffen.
Viele Anrufer beschrieben Szenen, die sich nahtlos in Joshs persönliches Puzzle fügten. Einer berichtete, er sei im Traum Bauer in einem antiken Land gewesen, als ein Brand sein Anwesen vernichtete und er sowie sein Bruder in den Flammen umkamen. Wieder ein anderer erzählte von Rückblenden, die ihn als hochrangigen Soldaten in eine Zeit zurückversetzten, welche er zwar nicht exakt benennen konnte, die aber in der Anfangsphase der Christianisierung liegen musste. Die Methoden, mit denen er die aufbegehrenden Massen in Schach gehalten hatte, waren so brutal gewesen, dass es ihm jetzt noch keine Ruhe ließ. Eine Frau erinnerte sich daran, wie sie auf Tempelböden Mosaike anlegen musste. Sie wolle versuchen, so sagte sie, die Muster nachzuzeichnen und Josh zu schicken.
Die Vorstellung, dass er – falls Reinkarnation wirklich existierte – möglicherweise einigen dieser Menschen in ihrem früheren Leben begegnet sein könnte, machte ihn tief betroffen. Er hätte ihnen liebend gern geholfen, hätte sich gern mit jedem Einzelnen von ihnen persönlich unterhalten, auch auf die entfernte Möglichkeit hin, dass sie über Kenntnisse verfügten, die er nicht besaß, und dass sie Licht in die dämmrigen Szenerien bringen würden, die dauernd in seinem Kopf herumspukten und ihn nie in Ruhe ließen.
Dennoch: So faszinierend die Berichte auch sein mochten, und sosehr Josh versucht war, einmal fünfe gerade sein zu lassen und einen Termin zu vereinbaren – er ließ es bleiben. Diese Entscheidung stand ihm nicht zu, und in dieser Hinsicht kannten Beryl und Malachai auch kein Pardon: Die Stiftung arbeitete nicht mit Erwachsenen. Josh selber stellte die einzige Ausnahme seit Jahren dar. Insofern blieb ihm nichts anderes übrig, als den Anrufern sein Mitgefühl auszusprechen und sie an die empfohlenen Meditationstrainer zu verweisen.
Gegen Mittag bekam er Gabriella endlich ans Telefon. Sie behauptete hartnäckig, es gehe ihr gut, und verabredete sich mit Malachai und Josh für den Abend zum Dinner. Doch er hörte den gestressten und angespannten Unterton in ihren Worten, der ein ungutes Gefühl in Josh hinterließ. Nachmittags um halb vier beschloss er deshalb, sich einen Mietwagen zu nehmen und schon früher hinauf nach New Haven zu fahren.
Auf dem Weg nach draußen vernahm er eine aufgebrachte Frauenstimme. Als er um die Ecke in den Empfangsbereich bog, sah er die dazugehörige Dame.
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