Der Memory Code

einigen Tagen als Harrison Shoals entpuppte und zu dem sie sich hingezogen fühlte – trotz oder gerade wegen der merkwürdigen Wirkung, die er auf sie ausübte. “Ein Zimmer kann sich doch nicht ändern! Man kann sich doch nicht an ein Ereignis erinnern, von dem man überhaupt nicht weiß, dass es stattgefunden hat! Oder?”
    “Es gibt eine Menge Leute, die halten das, was Sie da erleben, für durchaus möglich.”
    “Mein Onkel Alex auf jeden Fall. Der ist schon seit Jahren von Reinkarnation fasziniert. Ich hingegen habe mich vorher nie besonders damit befasst. Glauben Sie denn daran?”
    “Das ist unerheblich. Entscheidender ist, dass Sie sich davon behelligt fühlen.”
    “Und damit wären wir wieder da, wo wir angefangen haben. Würden Sie mir helfen, das Rätsel zu lösen? Ich habe Angst. Nicht nur deswegen, weil ich dauernd aus der Fassung gerate, sondern weil ich dieses drängende Gefühl habe, ich müsste aus der ganzen Sache irgendeine Lehre ziehen. Dass es etwas gibt, was ich unbedingt erledigen muss. Um etwas zu verhindern … eine Tragödie. Jetzt. Oh Mann, das hört sich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.”
    “Ach was. Überhaupt nicht.”
    Sie schaute Josh an. Er hörte Wasser rauschen, roch Jasmin, Sandelholz. Ein Zeitensprung, direkt hier vor dieser Frau, und er konnte ihn nicht verhindern. Ihm war, als gerate er ins Rutschen. Er stemmte sich dagegen, durfte sich jetzt nicht gehen lassen. Krampfhaft auf das glatte Gefühl der hölzernen Armlehnen fixiert, stieß er durch das Meeresblau nach oben, hinauf an die Oberfläche, klammerte sich an Rachels Stimme wie an einen Rettungsring.
    “Können Sie mir helfen?”
    “Würde ich ja gern …” Er hörte seine Stimme, als käme sie mit sekundenlanger Verspätung, als dringe sie durch Wasser zu ihm durch.
    “Ja, bitte! Bitte!” Es war ein Hilferuf, beschwörend und so sehr vertraut.
    Er stand auf und trat ans Fenster, um ihren flehenden Augen zu entgehen. Sie flehten nicht allein ihretwegen, sondern auch um der Person willen, die sie zuvor gewesen war.
    Nein, es ging nicht. Er würde untergehen in diesen Augen, wenn er mit dieser Frau arbeitete. Wie sollte er irgendetwas für sie tun? Er hatte sich ja nicht einmal selber helfen können!
    “Ich würde gern. Aber ich kann nicht.”
    “Was machen Sie denn hier? Wieso geht das bei mir nicht?”
    “Entweder durch einfache Meditationstechniken oder durch Hypnose ermöglichen wir den Kindern, die zu uns kommen, einen Zugang zu ihren tief verborgenen Vorlebenserinnerungen, damit sie diese an die Oberfläche befördern. Damit sie sich erinnern. Danach können wir uns die Probleme vornehmen und überlegen, wieso die Kinder gerade von diesen Erinnerungen gequält und belästigt werden.”
    “Dann versuchen Sie das doch bei mir auch!”
    “Würde ich ja. Aber es ist nun einmal die Regel der Stiftung, ausschließlich mit Kindern zu arbeiten.”
    “Aber Sie sagten doch, Sie verstehen mich … Ich weiß nicht mehr aus noch ein. Ich habe einen Mann kennengelernt, zu dem ich mich hingezogen fühle, obwohl ich ihn erst ein paar Tage kenne. Seit ich ihm begegnet bin, kommen die Rückblenden immer häufiger und intensiver. Ich habe mich entschlossen, ihn nicht mehr zu treffen, weil es mich so aufwühlt und mir nicht geheuer vorkommt. Andererseits kann ich offenbar nicht von ihm lassen. Tja, toll! Jetzt klinge ich nicht nur wie eine Verrückte, sondern auch noch wie ein alberner, liebeskranker Teenager!”
    “Was meinen Sie mit ‘nicht geheuer’“?
    “Ich habe so eine grausige Vorahnung, dass uns etwas zustößt. Oder dass es schon passiert ist. Und das macht mir Angst.” Sie kratzte wieder an ihrer Nagelhaut herum. “Ich muss dieser sonderbaren Geschichte, die sich da abspult, auf den Grund gehen”, fuhr sie fort. “Ich muss herausfinden, wer ich war. Sie können sich nicht vorstellen, wie schwer mir das alles fällt.”
    Er fühlte eine Woge von Mitleid für sie.
    Seit seiner letzten Reise nach Rom traten auch Joshs Zeitensprünge häufiger und intensiver auf. Nie zuvor hatte er einen solchen Drang verspürt zu ergründen, ob Reinkarnation nun Märchen war oder Fakt. Die Vorstellung, die ihn schon vorher gemartert hatte, nämlich dass Sabinas Seele in einem anderen Körper wiedergeboren sein sollte, der hier auf Erden wandelte, diese Idee quälte ihn nun erneut. Eigentlich hätte er nichts anderes tun dürfen, als nach Sabina zu suchen, auch wenn das bedeutete, sich ins Auge des