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Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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beherrschen.
    “Ich muss nur noch schnell eine Besprechung zu Ende führen. Hereinspaziert, es dauert nicht lange.”
    Rachel hatte angenommen, er werde sie ins Wohnzimmer komplimentieren und sich dann in sein Arbeitszimmer verdrücken. Aber er nahm sie mit dorthin.
    Sein Penthouse diente als Heim und Arbeitsbereich zugleich – chic und elegant, überwiegend in Grautönen gehalten, die Akzentuierungen in Silber, die Zimmer ausgestattet mit deckenhohen Fenstern, die einen Blick auf das wie Brillanten glitzernde Lichtermeer der nächtlichen City boten.
    Harrison kredenzte ihr einen Scotch genau nach ihrem Geschmack: teure Marke, pur eingeschenkt. Dann bot er ihr einen Ledersessel links neben seinem Schreibtisch und widmete sich wieder seinem Telefongespräch, das er unterbrochen hatte, um ihr die Tür zu öffnen.
    Rachel nippte an ihrem Whisky, streichelte sacht über das samtweiche Sesselleder und bemühte sich krampfhaft, Harrison nicht mit Blicken zu verschlingen. Einmal ertappte er sie beim Starren und lächelte ihr zu.
    Nach einem Schlagabtausch, der sich offenbar auf ein teures Gemälde bezog, öffnete Harrison seine oberste Schreibtischschublade, um einige Unterlagen herauszuholen. Dabei bemerkte Rachel einen winzigen schwarzen Revolver.
    Schlagartig spürte sie, wie sie wieder von den bizarren Anwandlungen überfallen wurde. Das Vibrieren und die Musik, die im Grunde gar keine Musik war, lullten sie ein, entführten sie augenblicklich aus der Kulisse von Harrisons Arbeitszimmer, hin zu einem ganz anderen Ort. Statt in diesem von Glas und Chrom dominierten Arbeitszimmer zu sitzen und auf die Skyline hinauszublicken, fand sie sich plötzlich in einer holzvertäfelten Bibliothek wieder, mit Fenstern, die auf eine Hügellandschaft hinausgingen. An der Wand hingen Meisterwerke der Renaissance, und der Mann, der am Schreibtisch saß, genau dort, wo eben noch Harrison gesessen hatte, war jemand vollkommen anderes.
    Attraktiv war er zwar auch, aber schon gut über fünfzig, und er trug weder Jeans noch Designersakko, sondern einen altmodischen, steifen Anzug. Und allein waren sie auch nicht mehr. Jenseits des Schreibtisches stand ein zerlumpter junger Bursche mit fettigem Haar und niederträchtigen Augen.
    Der Mann, der Harrisons Stelle eingenommen hatte, musterte Rachel mit einem begehrlichen Blick. Vor ihm auf dem Schreibtisch, auf der marmorierten Lederunterlage, glänzte ein kleiner Revolver im Lampenschein. Bei dem Gespräch mit dem Zerlumpten beachtete der Mann die Waffe zwar nicht, aber sie war gleichwohl nicht zu übersehen.
    “
Für einen Raub können wir ja wohl schlecht die Verantwortung übernehmen, oder? Im Gegenteil: wir bieten eine ansehnliche Belohnung für sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung des Diebes oder der Diebe führen.” Er feixte hinterhältig.
    Sie musste fort, weg von den beiden Männern, von der Waffe. Doch sie saß wie in der Falle, als habe die Zeit sich in Metallfesseln verwandelt, von denen sie festgehalten wurde. Sie rang nach Worten, aber die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Heraus kam nur ein verstümmelter Schrei. Und auf einmal war alles plötzlich wieder so wie zuvor – außer der Panik, die in ihr aufstieg.
    Harrison war besorgt. Beflissen. Sanft redete er auf sie ein, fragte sie, was er tun, wie er helfen könne. Rachel wollte wissen, wozu er eine Waffe besitze, woraufhin er überzeugend erklärte, die brauche er bei den vielen Transporten von Gemälden und Schmuck von und zu seiner Wohnung. Das leuchtete ihr ein. Das Gefühl aber, dass sie in Gefahr schwebte, ließ sie nicht los, auch dann nicht, als sie bei einem Drink beisammensaßen und plauderten.
    Als er sie an sich zog und küsste, stellte sie zu ihrem Erstaunen fest, dass sie sich ihm nicht etwa entgegenstemmte, sondern willig entgegenkam – argwöhnisch zwar, aber getrieben von einer Neugier und einer Macht, die ihr selber unbegreiflich waren. Wie war das möglich, dass das Dunkle in ihm und die Schatten, die ihn umgaben, wie ein Aphrodisiakum wirkten?
    Und als er sie dann nach allen Regeln der Kunst verführte, wehrte sie sich nicht. Seinen Kopf auf ihrer Brust, flüsternd und sie so sacht nur berührend, dass es sich federleicht anfühlte, redete sie sich ein, dass sie verrückt war. Dass an einem Mann, der solche Gefühle in ihr hervorrief, nichts Schlimmes sein konnte. Und dann geschah es.
    Ein greller Blitz.
    Der andere Mann war wieder an Harrisons Stelle getreten. Und diesmal war
er
es, der sie liebte.

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