Der Memory Code
werde er ihr jeden Moment anzüglich zuzwinkern.
Jegliche Farbe in der Kabine wurde förmlich aufgesogen von der Aura der Energie, welche das Bildnis ausstrahlte. Noch nie hatte Esme etwas derart Großartiges in Händen gehalten. Als ihr ein andächtiger Laut entfuhr, bedachte Blackie sie zum ersten Mal seit Neelys Tod mit einem Lächeln.
“Welch ein Schatz!”, flüsterte sie.
“Das, meine Liebe, ist erst der Anfang.” Ein Glühen erschien in seinen Augen, ein verschlagener Ausdruck, der ihr bekannt vorkam – Vorbote einer Überraschung ganz anderer Art: Liebeswonnen nämlich. Schon ergriff er ihre Hand, nicht etwa sanft, nicht im Sinne einer Entschuldigung. Sondern wie zu einer Einladung zu einer Nacht voller verruchter Freuden, an denen der junge Gott auf dem Gemälde seine helle Freude gehabt hätte.
Esme war hin- und hergerissen. Sie erinnerte sich an jenen Abend in Rom, als sie ein Stückchen seines wahren Wesens erblickt hatte. Aber sah es nicht so aus, als habe er sich jetzt, auf der Heimreise, doch erheblich gebessert?
Caravaggios Bacchus schaute ihnen vom Gemälde aus zu, als Blackie sie an sich zog und ihr ins Ohr raunte, er wolle sie nackt, wolle sehen, wie sich ihre Haut in der Kühle mit einer Gänsehaut überzog, damit er sie dann zum Brennen bringen könne.
Seine erblühte Männlichkeit presste sich prall gegen ihre Hüfte, sodass sie schon annahm, er werde gleich auf der Stelle über sie herfallen. Sobald sie sich aber ihrer Hüllen entledigt hatte, musste sie sich auf sein Geheiß in einer bestimmten Pose auf eine Chaiselongue legen, seitlich abgestützt, die Schenkel leicht gespreizt und das Gesicht ihrem Liebhaber zugewandt. Unverständlicherweise aber widmete sich dieser nun dem Gemälde und machte sich daran zu schaffen.
Er löste die Leinwand von dem prunkvollen Rahmen und legte sie beiseite, fast so, als sei ihm das Bild einerlei. Ein Caravaggio, wohlgemerkt! Dann nahm er wieder sein Taschenmesser zur Hand, rammte die Klinge in die Nahtstelle an der Gehrung zwischen den Rahmenholmen und lockerte die Verbindung. Genauso ging er mit den anderen vor.
“Was machst du denn da?”
“Hab Geduld! Sieh einfach zu.”
Nachdem der Goldrahmen zerlegt war, untersuchte Blackie jedes Rahmenteil von oben nach unten, bohrte, drückte und forschte so lange, bis er gefunden hatte, wonach er suchte: eine kleine Auskerbung. Darin verborgen war ein spiralenförmig gewundener Holzstift, den er mit der Messerklinge herausschraubte.
Eine Feder quietschte. Zum Vorschein kam ein Geheimfach.
Mit zwei spitzen Fingern griff Blackie hinein, zog ein in weißes Papier gehülltes Etwas heraus, entfaltete es und hielt es hoch.
Ein Smaragd! Schillernd und strahlend, heller als der üppige Goldrahmen oder das farbenfrohe Ölgemälde! Ein zweites Päckchen wurde herausgeholt, ein Saphir ausgepackt, dem gleich noch einer folgte, danach zwei zusätzliche Smaragde sowie zum guten Schluss ein einzelner Rubin.
Die Steine aus dem Grab! Die Juwelen, die sie an jenem Abend, als man Neely beraubt und umgebracht hatte, durchs Fenster der Bibliothek gesehen hatte!
Esme stockte der Atem.
Ohne den Rahmen wieder zusammenzusetzen, schaute Blackie auf Esme hinunter. Er hielt die Edelsteine, als wären sie eine Handvoll Murmeln. Der einzige Laut war das Klicken der Juwelen, die beim Schütteln gegeneinanderstießen. “Und jetzt still liegen bleiben!”, befahl er.
Summend streckte er den Arm aus und zeichnete mit einem Finger unsichtbare Kreuzchen auf Esmes Leib, sechs an der Zahl. Dann nahm er die Juwelen und legte sie eines nach dem anderen hintereinander auf die bezeichneten Stellen, angefangen mit der Mulde zwischen den Schlüsselbeinen, dann weiter zu der Kluft zwischen ihren Brüsten und einen auf ihren Nabel. Die letzten drei bildeten eine Kette quer über die Taille.
“Nicht bewegen!”, mahnte er flüsternd, nahm vom Schminktisch einen silbergefassten ovalen Spiegel und hielt ihn so, dass Esme ihren eigenen, juwelengeschmückten Körper sehen konnte.
Nichts ergab mehr Sinn. Wie war Blackie an die Steine gelangt? Wieso waren sie in dem Bilderrahmen versteckt gewesen?
“Sieh her!”, befahl er.
Im Spiegel erblickte sie die auf ihrer Haut funkelnden Edelsteine. Blackie nahm den Rubin und hielt ihn ans Licht. “Den lege ich dir jetzt auf deine Lippen. Danach werden wir miteinander schlafen. Wenn du es schaffst, den Mund geschlossen zu halten, sodass der Rubin nicht herunterfällt, ganz gleich, was ich mache,
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