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Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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im Pool der Villa schwimmen gegangen war, ihr Bett mit Rosenblättern bestreut und ihr von einem Tenor der Mailänder Scala ein Ständchen hatte bringen lassen, war fort, ersetzt durch ein Nervenbündel, das wie besessen Kunstwerke kaufte. Während der letzten gemeinsamen Woche in Rom trafen sie sich mit einem halben Dutzend der renommiertesten italienischen Kunsthändler. Blackie kaufte einen Botticelli, einen Rembrandt, einen Tintoretto sowie einen Velázquez.
    Esme schien es so, als sammle er die Schätze zum Ersatz für jenen, den er verloren hatte, doch beim Abendessen lehnte er jedes Gespräch über die Gemälde ab. Er wirkte nicht einmal sonderlich interessiert an der Geschichte jener Meisterwerke, die er nun sein Eigen nannte. Als sie ihn fragte, wieso er ein Vermögen ausgebe für Kunstwerke, die ihm im Grunde gar nichts bedeuteten, verwies er sie darauf, dass sie eine gute Investition darstellten. Sie wusste, dass der Raubmord an Neely ihn bedrückte und dass er sich Sorgen darüber machte, wie der Phoenix Klub wohl reagieren würde, wenn er die anderen Mitglieder informierte. Letzten Endes war er ja nach Rom gekommen, um die vom Klub finanzierte Ausgrabung zu beaufsichtigen. Dabei hatte er auf ganzer Linie versagt.
    Als er ihr schließlich mitteilte, er werde die Heimreise buchen, und sie fragte, ob sie mit ihm nach Hause fahren wolle, war Esme erleichtert, ja sogar heilfroh, Rom früher als geplant den Rücken kehren zu können. Ihre große Europareise war schon lange kein Abenteuer mehr. Sie sorgte sich um ihren Bruder und vermisste ihre Mutter. Sie wurde geplagt von Albträumen, in denen sie den Mord an dem Archäologen erlebte. Ihr Malereikurs verlief eher schlecht als recht; der Lehrer erwies sich als nicht so qualifiziert, wie er hätte sein sollen. Da ging sie doch lieber zur Kunstakademie in New York. Das Schlimmste aber war: Sobald Blackie sie jetzt berührte, überlief es sie kalt, und sie hatte sogar etwas Angst vor ihm.
    In der nachfolgenden Woche brachen sie dann zu ihrer Atlantikreise auf, und als sie in See gestochen waren, hob sich Esmes Stimmung ein wenig. Es ging nach Hause.
    Am zweiten Abend der Reise, gleich nach dem Dinner, bereitete Blackie ihr eine Überraschung. “Ich habe dir vor der Abreise noch ein Geschenk in Rom gekauft. Möchtest du es sehen?”
    “Aber natürlich!” Trotz der bösen Ahnungen der letzten Tage war sie doch neugierig.
    In ihrer Kabine angelangt, benutzte Blackie einen kleinen goldenen Schlüssel, um einen seiner drei Kabinenschränke zu öffnen. Er durchwühlte die aufgehängten Kleider, stieß dann auf das Gesuchte und zog es heraus: ein sorgfältig eingeschlagenes, rechteckiges Paket, gut zweieinhalb Fuß breit und knapp vier Fuß hoch.
    Mit einem Perlmutttaschenmesser zerschnitt er die Verschnürung und schlitzte die Umhüllung auf. Zum Vorschein kam wieder ein Paket, diesmal aber noch feiner eingewickelt. Das gab er Esme, damit sie es auspacken konnte.
    Seit ihrem zwölften Lebensjahr hatte sie sich mit Hingabe der Kunst gewidmet. Sie wusste daher, dass es Hunderttausende von Gemälden auf der Welt gab. Ihr Lehrer hatte ihr einmal gesagt, von dieser Vielzahl an Werken seien aber nur Zehntausende atemberaubend, und von denen wiederum bloß ein paar Tausend echte Meisterwerke. Davon wiederum zeigten lediglich ein- oder zweihundert das wirkliche Talent eines Malers: nämlich die Fähigkeit, mit einem simplen Pinselstrich und ein paar Farbpigmenten eine lebensechte Wirklichkeit widerzuspiegeln – einen Augenblick menschlichen Leids etwa oder Wahnsinn oder Ekstase. Um dem Betrachter vor Augen zu führen, wie grausam der Mensch sein könne, wie erhaben, wie leidenschaftlich oder wie vollkommen. Lediglich ein paar Dutzend Maler konnten einen für einen Augenblick vergessen machen, dass das, was man da betrachtete, nicht aus Fleisch und Blut war – dass die kohlschwarzen Augen nicht zwinkerten, die rosaroten Lippen sich nicht gleich öffneten. Caravaggio gehörte zu diesen wenigen Künstlern. Daher vermutete Esme auch: das Bild, das sie da anschaute, war ein Caravaggio.
    Es zeigte den jugendlichen, sinnenfrohen Gott Bacchus, den sie schon von anderen Gemälden des Künstlers kannte. Bacchus symbolisierte das Chaos, erweckte Assoziationen von Wollust und Wonne, List und Verlockung. Die ihm über die Schulter herabhängenden Trauben wirkten dermaßen real, dass Esme fast war, als könne sie eine pflücken und naschen. Das Lächeln des Gottes schien so lasziv, als

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