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Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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gegenübersah, der in der Grabkammer gewesen war. Der Räuber, der den Schatz der Erinnerung gestohlen und den Professor niedergeschossen hatte, vermutlich mit derselben Waffe. Und dieser Mann blickte nun mit einem selbstgefälligen Feixen auf ihn herunter.

28. KAPITEL
    G abriella blickte auf ihre Armbanduhr und stellte zu ihrer Bestürzung fest, dass es 23:20 Uhr war. Seit ihrem letzten Anruf in der Klinik war erst eine Viertelstunde vergangen. Am liebsten hätte sie sich gleich wieder erkundigt, ob sich etwas getan habe, aber beim letzten Mal hatte die Schwester versprochen, sie werde Gabriella umgehend in Kenntnis setzen, sollte der Zustand des Professors sich zum Schlechteren wenden.
    Nur hatte Gabriella das Gefühl, dass sie allmählich den Verstand verlor. Je länger sie ruhelos im Zimmer auf und ab stapfte, desto mehr schwirrten ihr die tragischen Ereignisse der vergangenen zwei Tage durch den Kopf: der Überfall auf Rudolfo, dessen Leben am seidenen Faden hing, der Grabraub, der Tod von Nino. Ausgerechnet Nino, der an der Ausgrabung ein wahres Original gewesen war, durchweg zur Stelle, wenn Gabriella am Morgen eintraf, stets mit seinem breiten Grinsen und einem ausgelassenen “
Ciao, Professoressa
!”. Mehrmals hatte er, wenn sie die Mittagszeit durcharbeitete, zu ihr hinuntergerufen, um ihr zu melden, er mache Feierabend; ob er ihr vor Dienstschluss vielleicht noch etwas holen solle. Einmal hatte er ihr sogar ein Spielzeug für ihr Töchterchen mitgebracht, ein Schweizergarde-Figürchen mit roter Feder am blanken Helm und roten Puffhosen mit blauen und gelben Streifen.
    Bei dem Gedanken kämpfte sie mit den Tränen, beherrschte sich aber. Sie hatte leidvoll erfahren müssen – zuerst beim Tode ihrer Mutter, dann später, als ihr Mann erstickte –, dass Weinen nichts, aber auch gar nichts brachte. Emotionen musste man schlucken; man durfte sich nicht in ihnen baden. Manchmal, wenn sie an Quinn dachte, biss sie sich so lange auf die Unterlippe, bis der Schmerz größer wurde als die alles überwältigende Angst, ihrem Kind könnte etwas zustoßen, auf das sie keinen Einfluss hatte.
    Gabriella hatte ihr wissenschaftliches Leben mit den Toten zugebracht; insofern machte es ihr nichts aus, sich unter die Toten zu begeben. Noch einen Verlust in ihrem Leben hätte sie trotzdem nicht ertragen, erst recht nicht den ihres geliebten Töchterchens. Dennoch – auf schicksalhafte Wendungen musste man sich einstellen. Ein Unglück konnte jederzeit geschehen: ein außer Kontrolle geratenes Auto, ein ansteckender Bazillus, der im Kindergarten grassierte. Womöglich tickte auch eine durch Erbmaterial von den Eltern auf das Kind übertragene genetische Zeitbombe.
    Nein, nein, nein! Bloß nicht schon wieder dieser perversen, masochistischen Katastrophenschwelgerei frönen! Sollte etwas Schreckliches passieren, ließ sich das nicht verhindern, indem man sich vorher den Kopf darüber zermarterte. Sie musste mal raus aus ihren vier Wänden. Spazieren gehen. Irgendwo auf ein Glas Wein einkehren. Alles, nur nicht tatenlos hier herumhocken, grübeln und – schlimmer noch – sich selber verrückt machen.
    Sie bürstete das Haar durch, schnappte sich ihre Handtasche und war gerade auf dem Weg zur Tür, als ihr Handy klingelte.
    Es war Signora Rudolfo. Sie weinte. Dem Professor gehe es schlechter, schluchzte sie; sein Fieber sei extrem gestiegen, er leide unter Wahnvorstellungen. Die Medikamente kämen gegen die Infektion nicht mehr an; ob die Professoressa wohl kommen könne.
    Sì, certo
, versicherte Gabriella. Selbstverständlich. Sie sei schon unterwegs.
    Der Mann in der grauen Limousine sah Professor Chase aus dem Haus kommen, zu ihrem Wagen rennen und einsteigen. Er ließ den Motor an, und zwanzig Sekunden nachdem sie losgefahren war rollte auch er an und folgte ihr, allerdings in gebührendem Abstand, sodass es nicht allzu sehr auffiel.
    Der Mann in dem schwarzen Edeljeep, der ein gutes Stück weiter die Straße hinunter parkte, beobachtete ebenfalls, wie Gabriella losbrauste. Allerdings fuhr er ihr nicht hinterher, sondern tippte eine Nummer in sein Mobiltelefon und wartete, dass jemand abhob.
    Schräg gegenüber, im Erdgeschoss des Palazzo, den die Archäologin soeben verlassen hatte, saß die Vermieterin Camilla Volpe in ihrem Wohnzimmer und strickte an einem Pullover für ihren Enkel, während sie sich einen alten Fellini-Film im Fernsehen ansah. Das Telefon direkt neben sich, hob sie beim zweiten Klingelton ab und

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