Der Memory Code
meldete sich mit dem typischen “
Pronto
?” Sie lauschte, nickte,
sì, sì, sì
, fügte noch etwas hinzu und hörte, wie der Anrufer auflegte. Sie stemmte sich aus ihrem Sessel, griff sich den Schlüsselring aus der grünen Glasschüssel, die auf dem Tischchen beim Eingang stand, und ging zur Korridortür hinaus.
Mit schmerzenden Knien quälte sie sich die Treppe hinauf. Ihre Arthritis zwickte und plagte sie mal wieder, aber sie war es leid, andauernd zum Arzt zu laufen und im Wartezimmer herumzuhocken. Gegen das Altern war nun einmal kein Kraut gewachsen. Sie erinnerte sich noch, wie die Hände ihrer Großmutter ausgesehen hatten, als die neunzig wurde – verdorrt und fleckig, die Handrücken ein Seilgeflecht aus wulstigen Adern.
Vor Apartment 2B angelangt, schloss sie wie selbstverständlich die Tür auf, als sei das ihr gutes Recht. War’s ja auch, oder? Wenn eine Mieterin gegen das Gesetz verstieß, dann war man als Vermieterin doch nachgerade verpflichtet, der Polizei zu helfen, so jemanden dingfest zu machen, nicht wahr?
Es stand ja schließlich alle naselang in der Zeitung, wie die Archäologen Rom schändeten: buddelten antike Kunstgegenstände aus und schmuggelten sie anschließend außer Landes, obwohl sie eigentlich dem italienischen Heimatland gehörten. Falls diese Amerikanerin da ihre Finger im Spiel hatte, war es die verdammte Pflicht und Schuldigkeit einer jeden braven Italienerin, die Polizei zu unterstützen.
Der Commissario am Telefon hatte ihr bedeutet, die erforderlichen Beweise steckten in den Fotos von der Ausgrabung sowie in den schwarzen Notizbüchern, in die Signora Chase ihre Aufzeichnungen kritzelte. Genau danach sollte sie Ausschau halten: nach schwarzen Notizkalendern und nach Bildern. Mehr wollte die Polizei nicht.
Systematisch durchforstete Signora Volpe die auf dem Schreibtisch liegenden Aktenstapel. Sie spürte, wie ihr das Herz pochte, denn sie war nun einmal keine von diesen Schauspielerinnen in den Krimis und Spionagefilmen, die ihr verstorbener Mann sich so gern angeschaut hatte. Sie verstand sich nicht auf Heimlichkeiten und aufs Spionieren. Mit ihren zweiundsechzig Jahren hatte sie noch nie ein Polizeirevier von innen gesehen, aber nun arbeitete sie Hand in Hand mit der Kripo und spielte die Privatdetektivin. Freilich: Auch wenn ihr das Ganze nicht geheuer vorkam – ein bisschen aufgeregt war sie schon. Euphorisch sogar. Schließlich leistete sie einen Beitrag zur Verhinderung des Diebstahls staatlicher Kulturschätze.
Unter einem Stapel Zeitungen und Zeitschriften stieß sie schließlich auf ein Notizbuch. Und siehe da, schwarz war es auch noch. Sie zog es hervor. Ein absoluter Glücksgriff, dass sie das so schnell gefunden hatte! Darunter befand sich eine Handvoll Fotos, zuoberst eine Aufnahme von einem kleinen, höhlenartigen Raum, alt und verstaubt zwar, aber mit ganz wunderbaren Blumenfresken an den Wänden. Konnte ein Räuber etwa so ein Wandgemälde mitgehen lassen?
Aus der Kitteltasche zog sie eine Plastiktüte, schüttelte sie aus und steckte Fotos und Notizbüchlein vorsichtig hinein.
Der Commissario hatte ihr aufgetragen, möglichst auch in den Bücherregalen und im Schlafzimmer nachzusehen. Deshalb begab sie sich schleunigst ans Werk. Inzwischen hielt sie sich schon etliche Minuten in der Wohnung auf. Wenn jetzt die Amerikanerin unverhofft nach Hause käme – was dann? Dann musste man sich halt einen Vorwand aus den Fingern saugen. Etwa eine Beschwerde der Nachbarn, beispielsweise über Lärmbelästigung. Oder über Gasgeruch. Jawohl, ein Leck in der Gasleitung, das war’s! Das wäre die ideale Ausrede. Im Grunde aber brauchte sie keine Angst zu haben, erwischt zu werden. Der Commissario hatte ihr nämlich versprochen, zu hupen, sobald er ihre Mieterin kommen sehe. Drei Hupsignale in schneller Folge – das war das vereinbarte Warnzeichen. Bis jetzt war alles ruhig geblieben.
Fehlanzeige; im Schlafzimmer war nichts. Die Schnüffelei war vorbei, das Gesuchte bereits im Wohnzimmer gefunden: ein Dutzend Fotografien sowie ein Notizbuch.
Und damit auf zum nächsten Akt.
“Ich kann ja zu Ihnen runterkommen und Ihnen geben, was ich finde”, hatte sie vorgeschlagen, als der Commissario ihr erklärte, was sie als Nächstes tun sollte.
“No, no, Signora Volpe, ich bitte Sie, so geht das nicht.” Der Commissario hatte allmählich die Geduld verloren. “Es muss doch wie ein Einbruch aussehen!”
Das leuchtete ihr zwar ein, aber sie und ihr
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