Der Memory Code
waren und nichts als Schutt hinterlassen hatten – Schutt und die Erinnerungen an sie, die in Josh und in den anderen armen Schweinen weiterexistierten wie Bandwürmer. In diesem Sinne war er, waren all seine Leidensgenossen bloß Wirte für Schmarotzer. Auf seinen Irrwegen durch eine verlassene, menschenleere Welt konnte er nur noch weiterwanken – angeschlagen, stinkend und blutverschmiert, bis an den äußersten Rand dieses antiken Ödlands.
Warum er noch lebte, war ihm schleierhaft. War der Drahtzieher des Grabraubes etwa zu der Erkenntnis gelangt, der Räuber selbst stelle eine größere Belastung dar als der Zeuge? Hatte der Täter seinen Auftraggeber etwa erpresst, ihn bedroht, ihm neue Forderungen gestellt? Oder wusste Josh etwas, das wichtig war für die Auflösung des Rätsels, welches die Juwelen umgab? Sofern es sich bei ihnen tatsächlich um den antiken Schatz der verlorenen Erinnerung handelte – war er selber dann der Einzige, der ihr Geheimnis zu entschlüsseln vermochte, etwa auf der Grundlage der Erkenntnisse, die in seinen früheren Erinnerungen verborgen lagen? Hatte der Schütze ihn wohl deswegen verschont?
Was aber, wenn die Steine niemals gefunden wurden? Sie waren ja eine letzte Hoffnung gewesen, die Verheißung – wenn auch eine weit hergeholte – eines möglichen Pfades zur Erkenntnis. Wenn Josh doch nur die Vergangenheit von Julius oder Percy Talmage und von anderen Geistern, die er in seinen Flashbacks sah, auferstehen lassen könnte … dann würde er mit der nötigen Recherche zweifelsfrei beweisen können, dass er diese Leben vorher gelebt hatte.
In seiner Fantasie leuchteten am Sternenhimmel schon jene Smaragde auf, die Saphire und der Rubin, die er ganz kurz auf Gabriellas Fotos gesehen hatte. Sie blitzten und funkelten, diese Juwelen, als machten sie sich lustig über seine Suche, die ihm inzwischen ferner schien als kosmische Strahlen.
Nein, schalt er sich, du bist zu naiv. Schlichte Schmucksteine waren sie, von den Menschen mit übernatürlichen Attributen ausgestattet. Legenden, nicht etwa Kanäle in die Vergangenheit. In keiner Weise stellten sie eine Verbindung dar zu seinen früheren Inkarnationen – vorausgesetzt, so etwas wie “frühere Inkarnationen” gab es überhaupt.
Unlogisch war es und absurd. Wunschdenken. Es konnte nicht anders sein.
Andererseits: Wieso ging es dann schon wieder los? Das tat es – er konnte es riechen.
Machtlos, sich dagegen zu wehren, war er nicht einmal sicher, ob er das überhaupt wollte. Josh hatte zu viele Fragen und viel zu wenige Antworten.
30. KAPITEL
J ulius und Sabina
Rom
–
391 nach Christus
Beißender Brandgeruch weckte ihn aus dem Schlaf. In der Ferne, vom Mond beleuchtet, wälzte sich eine schwarzgraue Qualmwolke himmelwärts, als wolle sie nach den Sternen greifen. Julius stand auf und ging in Richtung des Feuers, anfangs noch langsam, später in Laufschritt verfallend. Doch als er den Brandherd erreichte, war alles Eilen vergebens. Er kam zu spät. Der Schaden an einem weiteren Tempel war bereits angerichtet, das Bauwerk niedergebrannt. In der Nase noch den bestialischen Gestank, wandte sich Julius ab. Er wollte den Rückzug antreten, drängte sich selbst zur Eile, ungeachtet der Erschöpfung, die ihn ganz unversehens überfallen hatte, als er hilflos dastand und die rußgeschwärzten, verkohlten Trümmer anstarrte. Seine Welt, die Welt des altrömischen Götterglaubens, sie fiel in Schutt und Asche.
Eigentlich hatte er eine Verabredung, aber er mochte sich jetzt noch so sehr beeilen – zu spät kommen würde er so oder so. Er konnte nur hoffen, dass Lucas sich nicht schon Sorgen machte.
Auf dem uralten Ruinenfeld angelangt, wandte er sich nach links. Auf Schritt und Tritt stellte er fest, dass das verfallende Mauerwerk immer mehr verschwand und zunehmend Neubauten aus Marmor wich. Schwer atmend erreichte er schließlich den kleinen Hain aus Zypressen, Olivenbäumchen und Eichen.
Er trat in das kühle, grüne Gehölz und ließ den harzigen Duft tief in die Lungen dringen. Selbst hier, so weit vom Feuer entfernt, schmeckte man noch den Rauchgeruch in der Luft. Eine ganze Weile zwängte er sich durch das Dickicht, bis er auf der anderen Seite herauskam, am Rande einer sorgsam gepflegten Grabanlage, wo sein Mentor auf ihn wartete: Lucas, Pontifex Maximus, oberster Wächter des Götterkults, ranghöchster Priester im Römischen Reich.
Sie begrüßten einander, sprachen über die Brandschatzung und schlenderten
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