Der Memory Code
allen Leuten durchgesagt wurde. Er spürte schon, wie ihm das Herz in der Brust zum Zerspringen klopfte, doch dann fiel ihm ein, dass er ja das koschere Essen bestellt hatte. Die Durchsage war also Routine. Er drückte auf den Klingelknopf über seinem Sessel, und Minuten später servierte ihm eine niedlich aussehende Brünette mit sehr rotem Lippenstift ein fades, pappiges Gericht aus vertrocknetem Hähnchen und wässrigem Gemüse.
Als sie später sein Tablett abholte, fragte sie ihn, ob er Kaffee möchte. Er reagierte ausgesprochen höflich und zurückhaltend, obwohl er der Stewardess am liebsten vorgehalten hätte, er sei nicht schwerhörig; sie brauche sich also nicht vorzulehnen und ihre Frage so übertrieben deutlich zu formulieren. “Ich hätte gern einen Tee”, erwiderte er stattdessen. “Mit Zucker.”
Nachdem er seinen Tee getrunken hatte, unterbrach er sein Bibelstudium für ein Nickerchen, schlief aber nur unruhig. Unter der Decke hielt er seinen Aktenkoffer umklammert; andauernd schreckte er hoch und guckte auf seine Armbanduhr.
Es brachte nichts, ständig auf die Uhr zu sehen. Dadurch landete der Flieger keine Minute eher. Wäre er ein Zauberer, hätte er die Flugzeit von acht Stunden auf eine verkürzt, aber weniger nervös wäre er dadurch auch nicht gewesen. Ja, hätte er bloß ein wenig entspannter sein können, etwas gesammelter und ruhiger! Er war ja bestens vorbereitet, kannte sich aus mit den gesetzlichen Bestimmungen. Eigentlich konnte nichts schiefgehen. Die Augen erneut geschlossen, konzentrierte er sich darauf, die Pulsfrequenz zu senken und gleichmäßiger zu atmen. Binnen Minuten hatten sich seine Nerven beruhigt.
Nach der Landung schob sich Meyerowitz mit den anderen Einreisenden durch die Gänge des Flughafens. In seinem langen schwarzen Mantel, den schwarzen, vom Sitzen zerknitterten Hosen, dem schwarzen Hut und dem zerknautschten weißen Hemd fühlte er sich äußerst unwohl, wenn nicht gar ungepflegt. Das allein schon war ihm ein Gräuel, doch dass die anderen Passagiere so auf seine Kleidung starrten, auf seinen Bart und die Schläfenlocken, ärgerte ihn noch am allermeisten. Als orthodoxer Jude wurde man häufig schief angeschaut, sogar in New York mit seinem hohen jüdischen Bevölkerungsanteil, doch hier in der Schlange war es besonders unangenehm, die Blicke auf sich zu spüren, auf Barthaar und Bekleidung.
Allein, es war für ihn zum Vorteil, dieses Erscheinungsbild; das war ihm wohl bewusst. Nur bevorzugte er eben als Verkleidung die Soutane des katholischen Geistlichen.
Die Einreisekontrolle dauerte über eine Stunde, und das, obwohl Meyerowitz amerikanischer Staatsbürger war und einen gültigen Pass vorweisen konnte. Alle ringsum in der Schlange wirkten übermüdet, und auch er tat so, als müsse er gähnen. In Wirklichkeit war er hellwach und ging im Geiste noch einmal alle möglichen Fragen und Antworten durch. Jawohl, er war gewappnet.
Besorgt allerdings auch, ob er wollte oder nicht. Er hatte schon zu viel in diesen Plan investiert. Zu viel hing von ihm ab. Zu viel war bereits schiefgelaufen.
Nach der Passkontrolle marschierte er direkt durch zur Zollkabine. Gepäck hatte er keines. Am Zoll zückte er seine ausgefüllte Zollerklärung und präsentierte dem uniformierten Beamten, der dem Namensschild zufolge Bill Raleigh hieß, seinen geöffneten Businesskoffer.
Der Zöllner prüfte das weiße Formular und inspizierte danach den Inhalt des Köfferchens: eine zerlesene Bibel, ein Reiseführer von Rom, Kulturbeutel, eine Plastiktüte mit schmutziger Wäsche und mehrere Stoffsäckchen. “Machen Sie den da bitte auf?”, befahl er und wies auf einen marineblauen Filzbeutel.
Während er den Edelstein auspackte und zur Inspektion vorlegte, leierte sich Meyerowitz immer wieder denselben Satz im Geiste vor, gebetsmühlenartig wie ein Mantra:
Die USA erheben keine Importzölle auf lose Schmucksteine.
Die USA erheben keine Importzölle auf lose Schmucksteine.
Die USA erheben keine Importzölle auf lose Schmucksteine.
Immerhin zitterten seine Hände nicht, wie er erleichtert feststellte. Andere hätten mit Sicherheit das Flattern gekriegt, selbst wenn sie nichts Unrechtes getan hatten. Die Fragerei an sich kostete weiß Gott Nerven genug. Aber Meyerowitz blieb die Ruhe selbst. Er rechnete nicht damit, dass es Probleme geben würde. Er kannte ja die Bestimmungen. Verboten war nur die Einfuhr von Schmuck aus ganz bestimmten Ländern, und aus seinem Pass war klar
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