Der Memory Code
ehrlich.”
“Wenn Sie mich fragen, sollten wir die Polizei benachrichtigen und die Sache unverzüglich anzeigen”, meinte Lou, wobei er gleich sein Handy aufklappte.
Zehn Minuten später erschienen zwei Polizisten: ernst, aber milchgesichtig der eine, der andere griesgrämig dreinblickend und offenbar ein lang gedienter alter Hase.
Das Milchgesicht zückte sein Notizbüchlein und fragte Gabriella, was seit ihrer Rückkehr aus der Bibliothek abgelaufen sei. “Als Sie zurückkamen – war da Ihre Bürotür geschlossen?”
“Ja.”
“Und als Sie gegangen sind – da auch?”
“Ja.”
“Die Fenster waren ebenfalls zu?”
“Weiß ich nicht.”
“Machen Sie die denn normalerweise zu?”
“Nein … eher selten.”
“Und heute?”
“Kann ich nicht mit Sicherheit sagen.”
“Wissen Sie schon, ob etwas fehlt?”
“Ich bewahre die Unterlagen von Jahren in diesem Dienstzimmer auf.” Sie wies auf die durchgeweichte Aktenmasse, die über den Boden verteilt war. “Ich weiß beim besten Willen nicht, wer daran Interesse haben sollte.”
“Vielleicht ein frustrierter Student?”
“Nein. Oder vielleicht doch. Es gibt immer welche, die mit ihren Zensuren nicht einverstanden sind, aber mir fällt keiner ein, der sich derart geärgert haben könnte …” Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. “Nein, von den Studenten wüsste ich niemanden.”
“Was lehren Sie?”
“Archäologie.”
“Gehen Sie da auch zu Ausgrabungen?”, fragte der Jüngere. “Da würde ich gern mal mitmachen. Ich hab ’n bisschen Höhlenforschung betrieben, und das hat mir schon immer …”
Sein Kollege fuhr ihm in die Parade. “Hatten Sie hier in Ihrem Büro irgendwelche Gegenstände, die aus einer Ausgrabung stammen? Antike Objekte? Wertvolle gar, die einen Einbruch lohnen?” Er musterte die Regale, die überwiegend mit Büchern und Fotografien gefüllt waren.
“Nein, nichts Wertvolles. Ein paar Ton- oder Glasscherben, aber ansonsten eher Andenken und Trümmerstücke, mehr nicht. Alles mehr oder weniger Plunder …”
Der jüngere Polizist merkte anscheinend nicht, dass sie den Satz unvollendet ließ. Seinem erfahrenen Kollegen indes entging es nicht. “Wir notieren das. Und dann ziehen wir Erkundigungen ein und stellen fest, ob es Zeugen gibt. Bis auf Weiteres möchte ich Sie bitten, Ihre Unterlagen in den nächsten Tagen nach Möglichkeit wieder zu ordnen. Und falls was fehlen sollte, melden Sie sich bitte bei uns, ja?”
“Einverstanden.”
“Sollen wir Sie nach Hause fahren? Oder ins Krankenhaus?”
“Nein, nein, nicht nötig, vielen Dank. Geht schon wieder.”
“Wir würden Sie momentan nur ungern allein lassen”, betonte der milchgesichtige Polizist. “Möchten Sie vielleicht abgeholt werden? Sollen wir jemanden anrufen?”
“Ja, bitte”, sagte sie. “Meinen Vater.”
Professor Peter Chase benötigte knapp zehn Minuten, um zum Dienstzimmer seiner Tochter zu gelangen. Augenscheinlich nicht mehr der Jüngste, hatte er schlaffe Wangen, schlohweißes, volles Haar und dunkle, durchdringende Augen, in denen jetzt ein erschrockener Ausdruck lag. Ohne auf die Polizisten zu achten, stürzte er aufgeregt herein. “Was ist los?”, fragte er seine Tochter.
Kaum sah sie ihn, brach sie in Tränen aus – nicht lauthals schluchzend, sondern eher gefasst und still. Trotzdem war ihr Gesicht in Sekundenschnelle benetzt.
Ihr Vater gab ihr ein Taschentuch und legte ihr tröstend den Arm um die Schulter. Über ihren Kopf hinweg bat er die beiden Beamten, noch einen Augenblick zu bleiben. Er wollte ihnen noch ein paar Fragen stellen. “Ich bin der Vater von Professor Chase”, sagte er. Ihm war offenbar entfallen, dass die Polizisten ihn ja auf Gabriellas Bitte hin herbeordert hatten. “Haben Sie schon einen Anhaltspunkt, was hier vorgefallen sein könnte?”
Der ältere Polizist übernahm. “Noch nicht, Sir, aber wir tun unser Bestes, um das herauszufinden.”
“Und bis es so weit ist – wie gedenken Sie die Sicherheit meiner Tochter zu gewährleisten?”
“Wir werden alles Erforderliche tun, um den Tathergang festzustellen”, wiederholte der Beamte.
“Haben Sie eine Tochter?”
“Allerdings. Zwei sogar.”
“Wie alt?”
“Elf und fünfzehn.”
“Wenn das hier einer Ihrer Töchter zugestoßen wäre – würde Ihnen dann Ihre eigene Auskunft reichen?
Alles Erforderliche tun, um festzustellen, was hier geschehen ist?
Sagen Sie mir lieber, wie sSe meine Tochter schützen
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