Der Memory Code
und zeigte ihm den Frosch. Kaum ruhte ihr Blick auf ihm, füllten sich ihre Augen mit Tränen, und das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht.
Malachai wusste Bescheid, noch ehe Josh begriff, was da ablief. “Natalie?”, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf.
“Bist du jetzt Claudia?”
“Ja. Und meine Schwester … meine Schwester …” Inzwischen haltlos weinend, bekam sie die Worte nicht über die Lippen.
“Was ist mit deiner Schwester geschehen?”, fragte Malachai. “Du kannst es mir ruhig sagen. Vielleicht kann ich dir helfen.” Aber Natalie war so auf Josh fixiert, dass sie die Frage gar nicht mitbekam.
Josh beugte sich zu ihr hinunter. “Wie hieß deine Schwester denn?”, flüsterte er.
“Sabina. Und sie kriegt keine Luft.”
Das zarte Stimmchen war das eines Kindes, doch in Joshs Ohren tönte das eine Wort wie ein Vulkanausbruch, der glühend heiße Lava ausspuckte und ihn darunter begrub.
“Das war vor ganz langer Zeit, Claudia”, bemerkte Malachai. “Jetzt hat sie ihren Frieden gefunden.”
Noch immer sah Natalie Josh an. “Wir haben sie sehr geliebt, nicht wahr?”, sagte sie.
“Ja, das stimmt”, wisperte er, und dabei überlief ihn am ganzen Körper ein Frösteln.
37. KAPITEL
R om, Italien – Freitag, 15:25 Uhr
Josh nahm den Blumenstrauß, die Flasche Wein und die zwei riesigen Plüschtiere, die der Portier auf seinen Wunsch hin für ihn besorgt hatte, und stieg in das wartende Taxi ein. Der Fahrer hatte bereits die Koffer eingepackt.
Eigentlich war der vorgesehene Zwischenstopp nur ein Umweg von einer Viertelstunde, aber Josh hatte vorsichtshalber neunzig Minuten eingeplant, damit er nicht zu hetzen brauchte.
Die Mädchen saßen unter einer rebenberankten Gartenlaube und hielten anscheinend mit ihren Puppen eine Art Kaffeeklatsch ab. Als Josh aber mit Geschenken bepackt aus dem Taxi stieg und über den Fußweg auf das Gartentor zukam, hielten sie im Spielen inne und starrten zu ihm herüber. Sie erkannten ihn nicht wieder, doch damit hatte er gerechnet. Schließlich war es über ein Jahr her, seit er nach der Beisetzung hier gewesen war, damals, an einem der vermutlich schwärzesten Tage seines Lebens.
“Mama, Mama!”, rief die kleinere der beiden, wobei sie vorausrannte, um die Ankunft des Besuchers anzukündigen. Als Josh näher kam, beäugte ihn Diana, die ältere, mit einem misstrauischen Blick und postierte sich links vom Eingang. Fast so, als stünde sie Wache, wie er ironisch dachte.
Tina begrüßte ihn herzlich und bedeutete dann ihren beiden Töchtern, es sei alles in Ordnung; sie könnten wieder spielen gehen – zumindest nahm Josh das bei seinen geringen Italienischkenntnissen an. Cecilia wandte sich auch schon zum Gehen, stoppte dann aber, drehte sich um und stellte ihrer Mutter eine Frage. Die holte lachend eine Keksschachtel aus einem Küchenschrank und reichte sie der Kleinen.
“Sie ist sehr clever. Merkt gleich, wann ich keine Zeit habe für Auseinandersetzung.”
Während Tina Wasser in eine Vase füllte, setzte Josh sich an den Küchentisch und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Mit Händen und Füßen und in leicht akzentgefärbtem Englisch erklärte sie ihm, es gehe allmählich vorwärts. Dabei errötete sie ein wenig.
“Das freut mich”, bemerkte Josh. “Und für die Mädchen ist es ja auch schön, wenn sie ihre Mama wieder lachen hören.”
Sie stellte die Blumen in die Vase und arrangierte eine Iris vor zwei rosa Tulpen. “Ich denke permanent an ihn. Jeden Morgen, jeden Abend und zwischendurch, aber ich muss nicht mehr so weinen. Eins wundert mich allerdings: Ich vergesse oft, dass er tot ist. Manchmal, wenn eins der Mädchen etwas gebastelt hat, kann ich es kaum erwarten, bis Andrea vom Dienst kommt. Damit ich es ihm zeigen kann.”
“Das geht mir genauso”, bemerkte Josh stirnrunzelnd. “Ich greife zum Telefon und rufe meinen Vater an. Dabei ist der schon fast zwanzig Jahre tot. Na ja, ich weiß nicht, ob ich Ihnen das hätte erzählen sollen. Verzeihen Sie.”
“Ach, was,
non c’è problema
.” Sie platzierte die Vase genau in der Tischmitte. “
Caffè
?”
Josh nahm dankend an.
“Und wie geht es Ihnen?”, fragte sie, während sie die Espressokanne füllte und auf die Herdplatte setzte. “Auch besser, scheint mir, oder?”
“
Sì, grazie
. Viel besser.”
Sie schaltete die Herdplatte ein, drehte sich zu Josh um und musterte ihn eingehend. “Na, nicht so ganz, glaube ich”, sagte sie dann. “Ich sehe es Ihnen an
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