Der Menschen Hoerigkeit
vergeuden. Es würde nichts ausmachen, dass Sie kein Talent haben – Talente laufen heutzutage nicht auf der Straße herum –, aber Sie haben nicht einen Funken einer Fähigkeit. Wie lange sind Sie schon hier? Ein Kind von fünf Jahren würde nach zwei Stunden besser zeichnen als Sie. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Geben Sie diese hoffnungslose Sache auf. Sie werden sich viel eher als bonne à tout faire durchbringen denn als Malerin. Schauen Sie her.«
Er nahm ein Stück Kohle, und sie zerbrach, als er sie ansetzte. Er fluchte und zog mit dem übriggebliebenen Stumpf große, feste Linien über das Papier. Er zeichnete rasch und sprach gleichzeitig, indem er die Worte hervorspuckte wie Gift.
»Sehen Sie her: Diese Arme sind ungleich lang. Dieses Knie ist unmöglich. Ich sage Ihnen, ein Kind von fünf Jahren! Sehen Sie nicht, dass sie nicht stehen kann? Dieser Fuß!«
Bei jedem Wort zog der wütende Stift einen Strich, und im Handumdrehen war die Zeichnung, auf die Fanny Price so viel Zeit und zitternde Mühe verwendet hatte, unkenntlich, ein Durcheinander von Linien und Klecksen. Schließlich warf Foinet die Kohle hin und stand auf.
»Folgen Sie meinem Rat, Mademoiselle, versuchen Sie es mit der Schneiderei.« Er schaute auf die Uhr. »Es ist zwölf. À la semaine prochaine, messieurs. «
Miss Price suchte langsam ihre Sachen zusammen. Philip blieb zurück, nachdem die andern gegangen waren, um ihr ein paar tröstende Worte zu sagen. Aber es fiel ihm nichts Richtiges ein.
»Ach, es tut mir furchtbar leid. Wie gemein dieser Mensch doch ist.«
Sie fuhr ihn wütend an:
»Haben Sie deshalb auf mich gewartet? Wenn ich Ihre Anteilnahme brauche, werde ich es Ihnen mitteilen. Bitte, lassen Sie mich vorbei.«
Sie stürzte aus dem Atelier, und Philip humpelte achselzuckend zu Gravier hinüber.
»Geschieht ihr ganz recht«, sagte Lawson, als Philip ihm das Vorgefallene erzählte. »Die bösartige Person.«
Lawson war sehr empfindlich gegenüber Kritik und ging deshalb nie ins Atelier, wenn Foinet kam.
»Ich will die Meinung anderer Leute über mein Werk nicht hören«, sagte er. »Ich weiß selbst, ob es gut oder schlecht ist.«
»Du meinst, du möchtest die negative Meinung anderer Leute über dein Werk nicht hören«, antwortete Clutton nüchtern.
Am Nachmittag beschloss Philip, ins Luxembourg zu gehen, um sich ein paar Bilder anzusehen, und als er durch den Park kam, erblickte er Fanny Price an ihrem gewohnten Platz. Er war gekränkt über die Grobheit, mit der sie ihn abgefertigt hatte, und ging vorbei, als hätte er sie nicht gesehen. Aber sie stand sofort auf und trat auf ihn zu.
»Haben Sie die Absicht, mich zu schneiden?«, fragte sie.
»Nicht im Entferntesten. Ich dachte nur, Sie hätten nicht den Wunsch, mit mir zu sprechen.«
»Wohin gehen Sie?«
»Ich wollte mir den Manet ansehen, von dem ich so viel gehört habe.«
»Soll ich mitkommen? Ich kenne das Luxembourg genau und könnte Ihnen ein paar schöne Stücke zeigen.«
Er begriff, dass sie, unfähig, direkt um Entschuldigung zu bitten, auf diese Weise ihre Unhöflichkeit wiedergutmachen wollte.
»Das ist furchtbar nett von Ihnen.«
»Sie brauchen nicht ja zu sagen, wenn Sie lieber allein gehen möchten«, sagte sie misstrauisch.
»Das würde ich nicht tun.«
Sie gingen miteinander zur Galerie. Caillebottes Sammlung wurde seit kurzem ausgestellt, und zum ersten Mal hatten die Studenten die Möglichkeit, die Werke der Impressionisten in Ruhe zu betrachten. Bis dahin waren sie nur in den Räumen von Durand-Ruel in der Rue Lafitte zu sehen gewesen (und der Händler – ganz im Gegensatz zu seinen englischen Kollegen, die sich den Malern überlegen fühlten – zeigte auch dem armseligsten Studenten jederzeit gerne, was er sehen wollte) oder aber in Durand-Ruels Privathaus; es war nicht schwer, dafür dienstags eine Einlasskarte zu bekommen, und man konnte dort weltberühmte Bilder sehen. Miss Price führte Philip direkt vor die Olympia von Manet. Er stand erstaunt und schweigend vor dem Bild.
»Gefällt es Ihnen?«, fragte Miss Price.
»Ich weiß nicht«, antwortete er hilflos.
»Sie können mir glauben, dass es das beste Bild in der ganzen Galerie ist, ausgenommen vielleicht Whistlers Porträt seiner Mutter.«
Sie ließ ihm eine Weile Zeit, das Meisterwerk zu betrachten, und führte ihn dann zu einem Bild, das einen Bahnhof darstellte.
»Das ist Monet«, sagte sie. »Die Gare St. Lazare. «
»Aber die Schienen laufen doch nicht
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