Der Menschen Hoerigkeit
Wochen hat er keinen Blick auf meine Zeichnung geworfen. Für Mrs. Otter nimmt er sich eine halbe Stunde Zeit, weil sie die massière ist. Schließlich zahle ich genauso viel wie die andern, und mein Geld ist genauso gut. Ich sehe nicht ein, warum ich weniger Beachtung bekommen sollte.«
Sie nahm ihre Kohle zur Hand, legte sie aber im nächsten Moment mit einem Stöhnen wieder hin.
»Ich kann jetzt nichts mehr machen. Ich bin so entsetzlich nervös.«
Sie blickte Foinet entgegen, der nun mit Mrs. Otter näher kam. Mrs. Otter, bescheiden, mittelmäßig und selbstzufrieden, hatte eine wichtige Miene aufgesetzt. Foinet machte an der Staffelei einer unordentlichen kleinen Engländerin namens Ruth Chalice halt. Sie hatte die schönen schwarzen Augen, träge und leidenschaftlich zugleich, das schmale Gesicht, asketisch, aber sinnlich, und die elfenbeinfarbene Haut, die unter dem Einfluss von Burne-Jones zu jener Zeit bei jungen Damen in Chelsea in Mode waren. Foinet schien guter Laune zu sein; er sagte nicht viel, sondern wies mit ein paar kurzen, energischen Kohlestrichen auf die Fehler hin. Miss Chalice strahlte vor Freude, als er aufstand. Er kam zu Clutton, und allmählich wurde auch Philip ängstlich zumute, aber Mrs. Otter hatte versprochen, es ihm leicht zu machen. Foinet blieb einen Augenblick vor Cluttons Arbeit stehen, kaute stumm an seinen Fingern und spuckte dann abwesend einen kleinen Hautfetzen, den er abgebissen hatte, auf die Leinwand.
»Das ist ein guter Strich«, sagte er endlich und zeigte mit dem Daumen auf das, was ihm gefiel. »Sie fangen an, zeichnen zu lernen.«
Clutton antwortete nicht, und seine Miene zeigte den gewohnten Ausdruck: spöttische Gleichgültigkeit gegenüber der Meinung der Welt.
»Ich möchte beinahe sagen: Sie haben zumindest eine Spur von Talent.«
Mrs. Otter, die Clutton nicht mochte, verzog den Mund. Sie konnte nichts Besonderes an seiner Arbeit finden. Foinet setzte sich hin und verbreitete sich über technische Details. Mrs. Otter wurde müde vom langen Stehen. Clutton sagte nichts, sondern nickte nur ab und zu, und Foinet fühlte mit Befriedigung, dass er verstanden wurde. Diese Freude erlebte er nur selten. Endlich erhob er sich und kam zu Philip.
»Er ist erst seit zwei Tagen hier«, beeilte sich Mrs. Otter zu erklären. »Er ist Anfänger. Hat nie vorher gearbeitet.«
»Ça se voit«, meinte der Meister, »das sieht man.«
Er ging einen Schritt weiter, und Mrs.Otter flüsterte ihm zu:
»Das ist die junge Dame, von der ich gesprochen habe.«
Er blickte sie an, als wäre sie ein ekelerregendes Tier, und seine Stimme wurde messerscharf.
»Sie haben sich bei der massière beklagt, dass ich Ihnen nicht genug Aufmerksamkeit schenke. Nun, zeigen Sie mir einmal das Blatt, das Sie mir vorzulegen wünschen.«
Fanny Price errötete. Das Blut unter ihrer ungesunden Haut hatte eine seltsame violette Färbung. Ohne zu antworten, zeigte sie auf die Zeichnung, an der sie seit Anfang der Woche arbeitete. Foinet setzte sich hin.
»Also, was wünschen Sie von mir zu hören? Wünschen Sie zu hören, dass Ihre Arbeit gut ist? Das ist sie nicht. Wünschen Sie zu hören, dass sie gut gezeichnet ist? Sie ist schlecht gezeichnet. Wünschen Sie zu hören, dass sie Talent verrät? Das tut sie nicht. Wünschen Sie zu wissen, was daran falsch ist? Das Ganze ist falsch. Wünschen Sie zu wissen, was Sie damit anfangen sollen? Sie sollen sie zerreißen. Sind Sie nun zufrieden?«
Miss Price wurde sehr bleich. Sie war wütend, weil er alles in Gegenwart von Mrs. Otter gesagt hatte. Obgleich sie schon so lange in Frankreich war und ziemlich gut Französisch verstand, konnte sie kaum zwei Worte sprechen.
»Er hat kein Recht, mich so zu behandeln. Mein Geld ist genauso gut wie das von allen anderen. Ich bezahle ihn, damit er mich unterrichtet. Das nenne ich keinen Unterricht.«
»Was sagt sie? Was sagt sie?«, fragte Foinet.
Mrs. Otter zögerte, und Miss Price wiederholte in elendem Französisch:
»Je vous paye pour m’apprendre.«
Seine Augen sprühten vor Zorn; er erhob die Stimme und schüttelte die Fäuste.
» Mais, nom de Dieu, ich kann Sie nicht unterrichten. Eher könnte ich ein Kamel unterrichten.« Er wandte sich an Mrs. Otter. »Fragen Sie sie, ob sie zum Vergnügen malt oder damit Geld verdienen möchte.«
»Ich habe die Absicht, von meiner Kunst zu leben«, antwortete Miss Price.
»Dann ist meine Pflicht, Ihnen zu sagen, dass Sie Ihre Zeit
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