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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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unterdrücken, aber er hatte die köstlichen Worte so oft gelesen, bis er sie auswendig wusste, mit denen Walter Pater zu der Schönheit des berühmtesten Bildes der Welt beigetragen hatte, und diese Worte wiederholte er nun für Fanny Price.
    »Das ist alles Literatur«, meinte sie verächtlich. »Davon müssen Sie sich frei machen.«
    Sie zeigte ihm die Rembrandts und sagte viele treffende Dinge über sie. Vor den Jüngern von Emmaus bemerkte sie:
    »Wenn Sie die Schönheit dieses Bildes erfassen, werden Sie wissen, was Malerei ist.«
    Sie zeigte ihm die Odalisque und La Source von Ingres. Fanny war eine eigenwillige Führerin, die Philip nicht das betrachten lassen wollte, was er sehen wollte, sondern ständig bemüht war, Philips Bewunderung auf das zu lenken, was sie selbst bewunderte. Sie nahm ihr Kunststudium grimmig ernst, und als Philip an einem Fenster der langen Galerie stehen blieb und auf die Tuilerien hinunterblickte, die heiter, sonnig und weltstädtisch wie ein Bild von Raffaëlli dalagen, und ausrief: »Wie schön! Lassen Sie uns hier eine Minute haltmachen«, meinte sie gleichgültig:
    »Ja, es ist ganz nett. Aber gehen wir weiter, wir sind hergekommen, um Bilder anzusehen.«
    Die Herbstluft, frisch und prickelnd, belebte Philip. Und als sie gegen Mittag auf dem großen Vorplatz des Louvre standen, hatte er Lust, wie Flanagan auszurufen: »Zum Teufel mit der Kunst!«
    »Gehen wir doch in ein Restaurant am Boul’ Mich’ und essen eine Kleinigkeit«, schlug er vor.
    Miss Price warf ihm einen misstrauischen Blick zu.
    »Mein Essen wartet zu Hause auf mich«, antwortete sie.
    »Das ist doch egal. Dann essen Sie es morgen. Erlauben Sie mir doch, Sie zum Lunch einzuladen.«
    »Aber warum denn?«
    »Es macht mir Freude«, entgegnete er lächelnd.
    Sie überquerten die Brücke, und an der Ecke des Boulevard St.   Michel sahen sie ein Restaurant.
    »Gehen wir hier hinein!«
    »Nein, das sieht zu teuer aus.«
    Sie ging entschlossen weiter, und Philip musste nachgeben. Nach ein paar Schritten kamen sie zu einem kleineren Restaurant, vor dem unter der Markise etwa ein Dutzend Leute saßen und ihr Mittagessen verzehrten; am Fenster stand in großen weißen Lettern geschrieben: Déjeuner 1.25, vin compris.
    »Etwas Billigeres können wir nicht finden, und es sieht ganz ordentlich aus.«
    Sie setzten sich an einen freien Tisch und warteten auf die Omelette, die als erster Gang auf dem Speisezettel stand. Philip betrachtete mit Vergnügen die Vorübergehenden. Sein Herz schlug ihnen entgegen. Er war müde, aber sehr glücklich.
    »Sehen Sie doch den Mann dort, in dem Kittel! Sieht er nicht wunderbar aus?«
    Er blickte zu Miss Price hinüber und sah zu seinem Erstaunen, dass sie, ohne auf die Vorübergehenden zu achten, auf ihren Teller starrte und dass zwei schwere Tränen über ihre Wangen rollten.
    »Was haben Sie denn, um Gottes willen?«, rief er aus.
    »Wenn Sie noch ein Wort darüber verlieren, stehe ich auf und gehe«, antwortete sie.
    Er konnte sich nicht erklären, was in ihr vorging, aber glücklicherweise kam in diesem Augenblick die Omelette. Er teilte sie in zwei Teile, und sie fingen an zu essen. Philip tat sein Möglichstes, um von unwichtigen Dingen zu reden, und es hatte den Anschein, als bemühe sich auch Miss Price, nett und angenehm zu sein; aber die Mahlzeit verlief dennoch nicht besonders erfreulich. Philip war empfindlich, und die Art, wie Miss Price aß, verdarb ihm den Appetit. Sie aß geräuschvoll, gierig wie ein wildes Tier in einer Menagerie, und wenn sie mit einem Gang fertig war, wischte sie den Teller mit Brotstücken aus, bis er glänzte, als wollte sie nicht einen Tropfen Soße verlieren. Sie aßen Camembert, und es stieß Philip ab, wie sie ihre Portion bis zum letzten Stückchen verschlang. Ein Verhungernder hätte nicht gieriger essen können.
    Miss Price war unberechenbar. Schied er an einem Tage noch so freundschaftlich von ihr, so konnte er doch nie sagen, ob sie am nächsten nicht mürrisch und abweisend sein würde; aber er lernte eine ganze Menge von ihr. Obgleich sie selbst nicht zeichnen konnte, wusste sie alles, was zu erlernen war, und ihre Ratschläge brachten ihn ein tüchtiges Stück vorwärts. Auch Mrs. Otter half ihm, und manchmal kritisierte Miss Chalice seine Arbeiten. Er lernte von Lawsons geläufigen Reden, und er lernte an dem Beispiel Cluttons. Aber Fanny Price nahm es ihm übel, wenn er sich von anderen beraten ließ, und wenn er sie um Hilfe bat,

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