Der Menschen Hoerigkeit
nachdem er vorher mit jemand anderem gesprochen hatte, wies sie ihn brüsk ab. Lawson, Clutton und Flanagan neckten ihn ihretwegen.
»Sieh dich vor, mein Junge!«, sagten sie. »Sie ist in dich verliebt.«
»Unsinn«, sagte er mit einem Lachen.
Der Gedanke, dass Miss Price in irgendjemanden verliebt sein könnte, erschien ihm absurd. Ein Schauder packte ihn, wenn er an ihre Ungepflegtheit dachte, an das fettige Haar, die schmierigen Hände, das braune Kleid, das sie immer trug, fleckig und ausgefranst. Sie hatte bestimmt wenig Geld, alle hatten sie wenig Geld, aber sie konnte doch zumindest sauber sein, und nichts hinderte sie, mit Nadel und Faden ihren Rock in Ordnung zu bringen.
Philip fing an, seine Eindrücke von den Leuten, mit denen er in Kontakt gekommen war, zu ordnen. Er war nun nicht mehr so unbedarft wie während seiner Heidelberger Tage und kam den Menschen mit größerem Interesse, aber auch kritischer entgegen. Er stellte fest, dass er Clutton nach dreimonatigem täglichen Umgang nicht besser kannte als am ersten Tag. Im Atelier herrschte die Meinung – und diese teilte auch Philip –, dass Clutton eines Tages Großes leisten würde. Welcher Art diese zukünftigen Leistungen jedoch sein würden, konnte sich keiner genau vorstellen. Vor Amitrano hatte er bereits in anderen Ateliers gearbeitet, bei Julian, den Beaux-Arts und bei MacPherson, und war nun schon länger als in allen anderen geblieben, weil er hier mehr auf sich selbst gestellt arbeiten konnte. Clutton zeigte nicht gerne seine Arbeiten und unterschied sich von den meisten seiner Kollegen dadurch, dass er weder Rat suchte noch erteilte. Man erzählte sich, dass er in einem kleinen Atelier, in der Rue Campagne-Première, das ihm als Schlaf- und Arbeitsraum diente, wunderbare Bilder hängen hatte, die ihn berühmt machen könnten, wenn er sich nur dazu bewegen ließe, sie auszustellen. Da er sich kein Modell leisten konnte, malte er hauptsächlich Stillleben, und Lawson sprach viel von einem Teller mit Äpfeln, der ein wahres Meisterstück sein sollte. Er stellte die höchsten Ansprüche an sich selbst und war in seinem Streben nach etwas, das er noch nicht ganz zu greifen vermochte, immer unzufrieden mit seiner Arbeit als Ganzem; manchmal gefiel ihm ein Teil – der Arm oder das Bein einer Gestalt, ein Glas oder ein Teller in seinem Stillleben –, und diesen schnitt er dann aus und vernichtete die übrige Leinwand; wenn Leute zu ihm kamen, um seine Bilder zu sehen, konnte er ihnen mit aller Wahrhaftigkeit entgegenhalten, dass er auch nicht eines zu zeigen hatte. In der Bretagne war er einem Maler begegnet, von dem sonst noch niemand gehört hatte, einem merkwürdigen Kauz, der Börsenmakler gewesen war und erst in mittleren Jahren zu malen angefangen hatte. Dieser hatte einen großen Einfluss auf ihn ausgeübt. Er wandte sich vom Impressionismus ab und bemühte sich nun allein in verbissenem Ringen, eine individuelle Art nicht nur des Malens, sondern auch des Sehens zu finden. Philip erkannte in ihm etwas seltsam Eigenständiges.
Bei Gravier, wo sie oft aßen, abends im Versailles oder in der Closerie des Lilas saß er still da, mit einem sarkastischen Ausdruck auf dem hageren Gesicht, und sprach nur, wenn sich ihm die Gelegenheit bot, eine witzige Bemerkung einzuwerfen. Er genoss es, die Menschen auf den Arm zu nehmen, und freute sich immer, wenn jemand dabei war, an dem er seinen Sarkasmus auslassen konnte. Selten sprach er von etwas anderem als vom Malen, und dies nur mit den wenigen Personen, die er eines solchen Gespräches für würdig hielt. Philip fragte sich, ob wirklich etwas in ihm steckte: Seine Schweigsamkeit, sein Äußeres, sein beißender Witz ließen Persönlichkeit vermuten, konnten aber auch nichts weiter als eine effektvolle Maske sein, hinter der sich nichts verbarg.
Mit Lawson hingegen schloss Philip schnell Freundschaft. Er hatte zahlreiche Interessen, die ihn zu einem angenehmen Gesellschafter machten. Er las mehr als die übrigen jungen Maler und kaufte, obgleich sein Einkommen klein war, mit Vorliebe Bücher. Diese lieh er bereitwillig aus, und Philip lernte dadurch Flaubert und Balzac, Verlaine, Heredia und Villiers de L’Isle-Adam kennen. Lawson und er gingen miteinander ins Theater und manchmal in die Opéra Comique. Sie hatten das Odéon in nächster Nähe, und Philip teilte bald die Begeisterung seines Freundes für die Dramatiker Ludwigs XIV. und den klangvollen Alexandriner. In der Rue Taitbout fanden
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