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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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parallel«, meinte Philip.
    »Was macht das schon?«, entgegnete sie mit hochmütiger Miene.
    Philip schämte sich. Fanny Price hatte sich die geläufigen Redensarten der Ateliers zu eigen gemacht, und es fiel ihr nicht schwer, Philip mit ihrem Wissen zu imponieren. Sie fing an, ihm die Bilder zu erklären, anmaßend, aber nicht ohne Verständnis, und zeigte ihm, was die Maler angestrebt hatten und wonach er suchen musste. Sie machte beim Gestikulieren ausgiebig Gebrauch von ihrem Daumen, und Philip, dem alles, was sie sagte, neu war, hörte mit tiefem Interesse, aber ziemlich verwirrt zu. Bisher hatte er Watts und Burne-Jones als Meister verehrt. Die hübsche Farbgebung des Ersten, der manierierte Strich des Zweiten hatten sein ästhetisches Empfinden vollauf befriedigt. Ihr verschwommener Idealismus, der Anklang einer philosophischen Idee, die den Titeln zugrunde lag, stimmte vortrefflich mit seinen Ansichten über die Funktionen der Kunst überein, die er sich nach der eifrigen Lektüre Ruskins zurechtgelegt hatte; aber hier hatte er etwas ganz anderes vor sich: Hier suchte er vergeblich nach einer moralischen Note; die Betrachtung dieser Arbeiten konnte niemandem helfen, ein reines und höheres Leben zu führen. Er stand vor einem Rätsel.
    Endlich sagte er: »Ich glaube, ich sollte für heute Schluss machen. Ich glaube nicht, dass ich imstande bin, noch irgendetwas aufzunehmen. Vielleicht gehen wir jetzt und setzen uns im Garten noch ein Weilchen auf eine Bank.«
    »Sie haben recht«, antwortete Miss Price. »Man soll nicht zu viel Kunst auf einmal in sich aufnehmen.«
    Als sie draußen waren, dankte er ihr herzlich für ihre Mühe.
    »Ach, nicht der Rede wert«, entgegnete sie unwirsch. »Ich tue das, weil es mir Freude macht. Wir können morgen in den Louvre gehen, wenn Sie Lust haben, dann führe ich Sie zu Durand-Ruel.«
    »Das ist furchtbar freundlich von Ihnen.«
    »Finden Sie mich auch so unausstehlich wie die anderen?«
    »Nein, bestimmt nicht«, sagte er mit einem Lächeln.
    »Sie glauben, dass sie mich aus dem Atelier vergraulen können, aber das wird ihnen nicht gelingen, ich bleibe, so lange ich will. An der ganzen Sache heute Vormittag ist Lucy Otter schuld. Ich weiß es ganz bestimmt. Sie hat mich schon immer gehasst. Sie hat gedacht, dass ich mich danach abmelde. Ich glaube, sie wäre froh, wenn ich ginge. Sie hat Angst vor mir, weil ich zu viel von ihr weiß.«
    Miss Price erzählte Philip eine lange, verworrene Geschichte, aus der hervorging, dass Mrs.   Otter allerhand skandalöse Verhältnisse hatte. Dann sprach sie von Ruth Chalice, dem Mädchen, das Foinet gelobt hatte.
    »Mit jedem Mann im Atelier hat sie etwas gehabt. Sie ist nicht besser als eine Hure. Und schmutzig ist sie! Seit Monaten hat sie kein Bad genommen. Das weiß ich aus sicherster Quelle.«
    Philip hörte mit Unbehagen zu. Über Miss Chalice waren allerdings verschiedene Gerüchte im Umlauf, aber dass an Mrs.   Otters tugendhaftem Lebenswandel etwas auszusetzen sein sollte, schien ihm unmöglich. Die Person an seiner Seite flößte ihm mit ihren bösartigen Lügen geradezu Entsetzen ein.
    »Es ist mir gleichgültig, was sie sagen. Ich werde mich von meinem Weg nicht abbringen lassen. Ich weiß, dass ich Talent habe. Ich fühle, dass ich eine Künstlerin bin. Eher würde ich mich umbringen, als die Malerei aufzugeben. Oh, ich wäre nicht der erste Mensch, der in der Schule von allen ausgelacht wurde und sich dann als Genie erwies. Ich kümmere mich um nichts anderes als Kunst, ich bin gewillt, ihr mein ganzes Leben zu opfern. Man darf nur nicht aufgeben, sondern muss unablässig arbeiten.«
    Sie unterstellte jedem, der sie nicht ebenso hoch einschätzte wie sie sich selbst, unlautere Motive. Clutton verabscheute sie. Er habe keinen Funken Talent; alles sei nur Schein, keinen geraden Strich würde er zustande bringen. Und Lawson!
    »Dieser boshafte Kerl, mit seinem roten Haar und seinen Sommersprossen. Er hat solche Angst vor Foinet, dass er niemals wagt, ihm seine Arbeiten zu zeigen. Habe ich mich jemals davor gedrückt? Ich kümmere mich nicht um das, was Foinet zu mir sagt, ich weiß, ich bin eine wirkliche Künstlerin.«
    Sie erreichten die Straße, in der sie wohnte, und mit einem Seufzer der Erleichterung verabschiedete sich Philip von ihr.
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    Dennoch nahm er am nächsten Sonntag ihr Angebot an, ihn in den Louvre zu begleiten. Sie zeigte ihm die Mona Lisa. Er konnte ein leises Gefühl der Enttäuschung nicht

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