Der Menschen Hoerigkeit
und Clutton wussten, dass dies eine Antwort auf die Frage nach Mallarmé war. Cronshaw nahm häufig an den Zusammenkünften teil, zu denen der Dichter jeden Dienstagabend in seiner Wohnung lud, Maler, Literaten und Gelehrte um sich versammelnd, vor denen er dann mit kunstvoller Beredsamkeit über ein x-beliebiges Thema sprach, das ihm vorgeschlagen wurde. Cronshaw hatte offenbar kürzlich an einem solchen Abend teilgenommen.
»Er hat sehr gut gesprochen, aber was er gesagt hat, war Unsinn. Er tat, als wäre die Kunst das Wichtigste auf der Welt.«
»Ja, ist sie das denn nicht?«, fragte Philip. »Wozu wären wir sonst da?«
»Wozu Sie da sind, weiß ich nicht. Es geht mich auch nichts an. Aber Kunst ist Luxus. Nur zwei Dinge sind dem Menschen wirklich wichtig: seine Selbsterhaltung und die Fortpflanzung seiner Art. Erst wenn diese beiden Instinkte befriedigt sind, lässt er sich herab, sich mit dem zu beschäftigen, was Dichter, Maler und sonstige Leute zu seiner Unterhaltung hervorgebracht haben.«
Cronshaw hielt einen Augenblick inne, um zu trinken. Seit zwanzig Jahren sann er über das Problem nach, ob er den Alkohol liebte, weil er ihn zum Reden brachte, oder ob er das Gespräch liebte, weil es ihn durstig machte.
Dann sagte er: »Ich habe gestern ein Gedicht geschrieben.«
Unaufgefordert fing er an, es zu rezitieren, sehr langsam, den Rhythmus mit ausgestrecktem Zeigefinger unterstreichend. Es war möglicherweise ein sehr gutes Gedicht, aber in diesem Augenblick kam eine junge Frau herein. Sie hatte leuchtend rote Lippen, und es war klar, dass das lebhafte Rot ihrer Wangen nicht auf die vulgäre Stümperei der Natur zurückzuführen war; Wimpern und Augenbrauen waren schwarz geschminkt, und auf die Augenlider hatte sie ein gewagtes Blau aufgelegt, das sich an den Augenwinkeln in einem Dreieck fortsetzte. Es war exzentrisch und amüsant. Das Haar hatte sie über die Ohren frisiert, nach der Art von Cléo de Merode. Philips Augen schweiften zu ihr hinüber, und Cronshaw lächelte ihm nachsichtig zu, nachdem er seine Rezitation beendet hatte.
»Sie haben nicht zugehört«, sagte er.
»O doch.«
»Ich kann Sie nicht tadeln, denn Sie haben bloß einen praktischen Beweis für meine Behauptung geliefert. Was ist Kunst neben Liebe? Ich respektiere und begrüße Ihre Gleichgültigkeit gegenüber der Poesie, wenn Sie stattdessen die trügerischen Reize dieser jungen Frau betrachten.«
In diesem Augenblick kam die junge Dame an dem Tisch vorbei, an dem sie saßen, und Cronshaw hielt sie am Arm fest.
»Komm, setz dich neben mich, mein Kind, und lass uns die göttliche Komödie der Liebe spielen.«
»Fichez-moi la paix«, sagte sie und stieß ihn im Weitergehen beiseite.
»Kunst«, fuhr er mit einer Handbewegung fort, »ist bloß eine Zuflucht, entdeckt von begabten Menschen, die mit Nahrung und Frauen versorgt waren, um der Langeweile des Lebens zu entrinnen.«
Cronshaw füllte abermals sein Glas, und nun kam seine Rede in Fluss. Er sprach mit Schwung und Eloquenz. Er wählte seine Worte sorgfältig. Er vermischte auf ganz erstaunliche Weise Weisheit und Unsinn miteinander, indem er sich in einem Moment mit ernster Miene über seine Zuhörer lustig machte und ihnen im nächsten scherzhaft und spielerisch die klügsten Belehrungen erteilte. Er sprach von Kunst und Literatur und vom Leben. Er war abwechselnd fromm und obszön, fröhlich und rührselig. Er wurde allmählich außerordentlich betrunken und fing dann an, Gedichte aufzusagen, seine eigenen und die von Milton, seine eigenen und die von Shelley, seine eigenen und die von Kit Marlowe.
Schließlich stand Lawson erschöpft auf, um nach Hause zu gehen.
»Ich komme mit«, erklärte Philip.
Clutton, der Schweigsamste von allen, blieb zurück und hörte, mit einem hämischen Lächeln auf den Lippen, weiter Cronshaws Gerede zu. Lawson begleitete Philip bis zum Hotel und wünschte ihm dann eine gute Nacht. Aber als Philip endlich im Bett lag, konnte er nicht schlafen. All die neuen Gedanken, die achtlos vor ihn hingeworfen worden waren, brodelten in seinem Kopf. Er war ungeheuer aufgeregt. Er fühlte gewaltige Kräfte in sich. Niemals zuvor hatte er so viel Selbstvertrauen besessen.
›Ich weiß, dass ich ein großer Künstler werde‹, sagte er zu sich selbst. ›Ich fühle es in mir.‹
Ein Schauder durchlief ihn, als ihm noch ein anderer Gedanke kam, den er aber kaum in Worte zu fassen wagte:
›Bei Gott, ich glaube, ich bin ein Genie.‹
Er war
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