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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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jedenfalls sehr berauscht, aber da er nicht mehr als ein einziges Glas Bier zu sich genommen hatte, war dies wohl auf ein gefährlicheres Rauschmittel als Alkohol zurückzuführen.

43
     
    Dienstag und Freitag waren die Tage, an denen die Lehrer vormittags in die Armitrano-Schule kamen, um die Arbeiten zu beurteilen. In Frankreich verdient ein Maler nur wenig, wenn er nicht Porträts malt und keine reichen Amerikaner als Gönner hat; und Männer von Namen sind gerne bereit, ihr Einkommen zu verbessern, indem sie einmal wöchentlich zwei oder drei Stunden in einem der zahlreichen Ateliers zubringen, in denen die Malerei gelehrt wird. Am Dienstag kam Michel Rollin zu Armitrano. Er war ein ältlicher Mann mit weißem Bart und rosiger Gesichtsfarbe. Er hatte für den Staat einige dekorative Auftragsarbeiten ausgeführt, aber diese reizten die Studenten hauptsächlich zum Hohn: Er war ein Schüler von Ingres, der nichts von Fortschritt in der Kunst wissen wollte und mit ärgerlicher Ungeduld auf jenen tas de farceurs hinabsah, die Manet, Degas, Monet und Sisley hießen; aber er war ein ausgezeichneter Lehrer, hilfsbereit, höflich und ermutigend. Foinet andererseits, der Freitag ins Atelier kam, war ein Mensch, mit dem schwer auszukommen war. Er war ein reizbarer, kleiner eingeschrumpfter Mann mit schlechten Zähnen, unordentlichem grauen Bart und wilden Augen; im Luxembourg hingen Bilder von ihm, und als er fünfundzwanzig Jahre alt war, hatte man ihm eine große Zukunft prophezeit. Aber sein Talent war mehr in seiner Jugend als in seiner Persönlichkeit verankert gewesen – und seit zwanzig Jahren tat er nun nichts anderes mehr, als die Landschaften zu wiederholen, die ihm seine früheren Erfolge eingebracht hatten. Wenn man ihm Einförmigkeit vorwarf, pflegte er zu sagen:
    »Corot hat immer das Gleiche gemalt. Warum sollte ich das nicht auch tun?«
    Er beneidete jeden um seinen Erfolg und hatte einen besonderen Widerwillen gegen die Impressionisten, denn er betrachtete sein eigenes Scheitern als Folge dieser verrückten Mode, die die Öffentlichkeit, diese sale bête, in ihren Bann gezogen hatte. Die lachende Geringschätzung Michel Rollins, der sie Schwindler nannte, ersetzten bei ihm Beschimpfungen, unter denen crapule oder canaille die harmlosesten waren. Es bereitete ihm Vergnügen, das Privatleben dieser Maler mit sarkastischem Humor zu schmähen. Mit lästerlichen und obszönen Details griff er die Legitimität ihrer Herkunft und die Reinheit ihrer ehelichen Beziehungen an. Mit der gleichen Schonungslosigkeit zeigte er seine Verachtung für die Schüler, deren Arbeiten er zu beurteilen hatte. Unter den Studenten war er verhasst und gefürchtet. Die Frauen brachte er durch seinen brutalen Sarkasmus zum Weinen, was wiederum seinen Hohn hervorrief; und er verblieb trotz der Proteste seiner Opfer im Atelier, weil es keinen Zweifel gab, dass er einer der besten Maler von Paris war. Manchmal wagte es das ältliche Modell, das die Schule leitete, ihm deshalb Vorhaltungen zu machen, aber vor der rabiaten Unverfrorenheit des Malers fielen seine Vorwürfe bald in sich zusammen und wichen unterwürfigen Entschuldigungen.
    Mit Foinet kam Philip zuerst in Berührung. Er war bereits im Atelier, als Philip eintrat. Begleitet von Mrs.   Otter, der massière, die für diejenigen, die nicht Französisch konnten, die Dolmetscherin spielen musste, ging er von Staffelei zu Staffelei. Fanny Price, die neben Philip saß, arbeitete fieberhaft. Ihr Gesicht war bleich vor Nervosität, und von Zeit zu Zeit hielt sie inne, um sich die heißen Hände an ihrer Bluse abzuwischen. Plötzlich wandte sie sich mit einem angstvollen Blick, den sie hinter einer mürrischen Maske zu verbergen suchte, an Philip.
    »Finden Sie es gut?«, fragte sie und deutete mit einer Kopfbewegung auf ihre Zeichnung.
    Philip stand auf, um das Blatt näher zu betrachten. Er war erstaunt. Hatte diese Frau denn keine Augen? Das Ganze war hoffnungslos verzeichnet.
    »Ich wollte, ich wäre so weit wie Sie«, stammelte er.
    »Das können Sie nicht verlangen. Sie sind ja eben erst gekommen. Ich bin schon zwei Jahre hier.«
    Fanny Price war Philip ein Rätsel. Ihr Selbstbewusstsein war erstaunlich. Philip hatte bereits bemerkt, dass sie im Atelier sehr unbeliebt war; das wunderte ihn nicht weiter, denn sie schien es förmlich darauf abgesehen zu haben, die Menschen zu verletzen.
    »Ich habe mich bei Mrs.   Otter über Foinet beschwert«, sagte sie nun. »Die letzten zwei

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