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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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fühle. Josiah Graves entgegnete, dass es ihm fernliege, die Würde der Kirche zu missachten, hier aber handle es sich um Politik, und der Erlöser selbst hätte seinen Getreuen aufgetragen, ›dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist‹. Darauf antwortete Mr.   Carey, selbst der Teufel könne die Bibel zu seinem Vorteil auslegen; der Pfarrer allein habe das Recht, über den Missionssaal zu bestimmen, und falls man ihn nicht auffordere, den Vorsitz zu übernehmen, würde er es ablehnen, den Saal für eine politische Versammlung zur Verfügung zu stellen. Das möge er halten, wie er wolle, erwiderte hierauf Josiah Graves; die Versammlung könne ebenso gut in der Methodistenkirche stattfinden. Daraufhin meinte Mr.   Carey, wenn Josiah Graves diesen Raum, der nicht viel besser wäre als ein Heidentempel, betreten würde, dann müsste er ihn als unwürdig betrachten, Kirchenvorsteher in einer christlichen Gemeinde zu sein. Daraufhin legte Josiah Graves alle seine Ämter nieder und ließ noch am gleichen Abend seine Soutane und sein Chorhemd aus der Kirche abholen. Seine Schwester Miss Graves, die ihm den Haushalt führte, trat von ihrem Posten als Sekretärin der Mütterfürsorge zurück, deren Aufgabe es war, notleidende schwangere Frauen mit Flanell, Säuglingswäsche, Kohlen und fünf Shilling zu versorgen. Mr.   Carey pries sich glücklich, nun endlich Herr in seinem eigenen Haus zu sein. Bald aber wurde ihm klar, dass er sich um allerhand Dinge kümmern musste, von denen er nichts verstand, und Josiah Graves entdeckte, nachdem der erste Zorn verraucht war, dass er sein Hauptinteresse im Leben verloren hatte. Mrs.   Carey und Miss Graves waren sehr unglücklich über den Streit. Sie kamen, nachdem sie ein paar vorsichtige Briefe gewechselt hatten, zusammen und beschlossen insgeheim, die Sache in Ordnung zu bringen: Von früh bis abends redete die eine auf ihren Gatten, die andere auf ihren Bruder ein; und da es darum ging, etwas zu erreichen, was die beiden Herren im tiefsten Innern selbst wünschten, wurde nach dreiwöchigem Zittern und Bangen eine Versöhnung zustande gebracht. Sie lag im Interesse beider Parteien, wurde aber der gemeinsamen Liebe zu Gott zugeschrieben. Die Versammlung fand im Missionssaal statt, und der Arzt übernahm den Vorsitz. Mr.   Carey und Josiah Graves hielten beide Reden.
    Wenn Mrs.   Carey ihre Geschäfte mit dem Bankier erledigt hatte, ging sie gewöhnlich hinauf, um ein Weilchen mit seiner Schwester zu plaudern; und während sich die Damen über Gemeindeangelegenheiten, über den Kuraten oder Mrs. Wilsons neuen Hut unterhielten – Mr.   Wilson war der reichste Mann in Blackstable, er wurde auf mindestens fünfhundert Pfund im Jahr geschätzt und hatte seine Köchin geheiratet –, saß Philip artig in dem steifen Besuchszimmer und vertrieb sich die Zeit mit den ruhelos in ihrem Becken hin und her schwimmenden Goldfischen. Das Zimmer, dessen Fenster nur morgens beim Aufräumen für ein paar Minuten geöffnet wurden, hatte einen muffigen Geruch, der Philip in einer geheimnisvollen Beziehung zum Bankiersberuf zu stehen schien.
    Nach einer Weile erinnerte sich Mrs.   Carey, dass sie noch zum Krämer gehen müsse, und sie setzten ihren Weg fort. Sobald das Einkaufen erledigt war, gingen sie oft eine Seitenstraße hinunter, mit kleinen, zumeist nur aus Holz gebauten Häusern, die von Fischern bewohnt waren (da und dort saß ein Fischer vor seinem Haus und flickte Netze, und an allen Türen waren Netze zum Trocknen aufgehängt), bis sie zu einem kleinen Strand gelangten, der auf beiden Seiten von Lagerhäusern eingeschlossen war, aber einen Ausblick auf das offene Meer gewährte. Mrs.   Carey blieb ein paar Minuten stehen und betrachtete es – es war trübe und gelb (wer hätte sagen können, was für Gedanken ihr durch den Kopf gingen?), während Philip nach flachen Steinen suchte, um sie über das Wasser hüpfen zu lassen. Dann kehrten sie langsam wieder um. Sie schauten ins Postamt hinein, um die genaue Zeit festzustellen, nickten Mrs.   Wigram zu, der Frau des Arztes, die nähend an ihrem Fensterplatz saß, und waren nach einer Weile wieder zu Hause.
    Um ein Uhr wurde Mittag gegessen; Montag, Dienstag und Mittwoch gab es Rindfleisch, gebraten, gedämpft oder als Hack, Donnerstag, Freitag und Samstag Hammelfleisch. Sonntags kam eines von den eigenen Hühnern auf den Tisch. Nachmittags machte Philip seine Aufgaben. In Latein und Mathematik wurde er von seinem Onkel

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