Der Menschen Hoerigkeit
acht Uhr an die Tür klopfte. Mrs. Carey brauchte etwas länger zum Anziehen und kam um neun Uhr, ein wenig atemlos, knapp vor ihrem Gatten zum Frühstück herunter. Mr. Careys Stiefel standen vor dem Feuer zum Wärmen. Das Gebet dauerte länger als gewöhnlich, und das Frühstück war reichhaltiger. Nach dem Frühstück schnitt der Vikar dünne Brotscheiben für die Kommunion, und Philip durfte die Rinde entfernen. Er wurde in das Arbeitszimmer geschickt, um einen marmornen Briefbeschwerer zu holen, mit dem Mr. Carey das Brot so lange presste, bis es dünn und teigig wurde, um es sodann in kleine Vierecke zu zerschneiden. Die Menge wurde nach dem Wetter bemessen. An einem regnerischen Tag kamen nur wenige Leute zur Kirche, und an einem sehr schönen erschienen zwar viele, aber nur wenige blieben bis zur Kommunion. Am größten war der Bedarf, wenn es so weit trocken war, dass man den Weg zur Kirche als Vergnügen empfinden konnte, aber doch nicht so schön, dass die Menschen Eile hatten, wieder ins Freie zu kommen.
Dann holte Mrs. Carey den Kommunionsteller aus dem Geldschrank, der in der Speisekammer stand, und Mr. Carey rieb ihn mit einem Stück Wildleder blank. Um zehn Uhr fuhr die Kutsche vor, und Mr. Carey schlüpfte in seine Stiefel. Mrs. Carey brauchte ein paar Minuten, um sich den Hut aufzusetzen, und während dieser Zeit stand der Vikar, in einen voluminösen Mantel gehüllt, in der Eingangshalle mit dem Gesichtsausdruck eines Märtyrers, der darauf wartet, in die Arena geführt zu werden. Es war unfassbar, dass seine Frau nach dreißigjähriger Ehe noch nicht gelernt hatte, am Sonntag pünktlich fertig zu sein. Endlich erschien sie in schwarzer Seide; der Vikar war der Ansicht, dass eine Pastorengattin eigentlich nie Farben tragen sollte, am Sonntag aber duldete er nichts anderes als Schwarz; ab und zu wagte sie, im Komplott mit Miss Graves, eine weiße Feder oder eine blassrosa Blume am Hut, aber solcher Zierrat musste eiligst wieder entfernt werden. Der Vikar erklärte, dass er nicht gesonnen sei, mit einer Dirne zur Kirche zu gehen. Mrs. Carey seufzte als Frau, gehorchte indessen als Gattin. Schon war man im Begriff, in den Wagen zu steigen, als der Vikar sich erinnerte, dass man ihm sein Ei nicht gegeben habe. Alle wussten, dass er ein Ei für seine Stimme brauchte; zwei Frauen waren im Hause, aber um sein Wohlergehen kümmerte sich niemand. Mrs. Carey schalt Mary Ann, und Mary Ann antwortete, dass sie nicht an alles denken könne. Sie eilte fort, um das Ei zu holen, und Mrs. Carey schlug es in ein Glas Sherry ein. Der Vikar trank es auf einen Schluck hinunter. Der Kommunionsteller wurde im Wagen verstaut, und es ging los.
Die Kutsche kam vom Roten Löwen und roch eigentlich nach faulem Stroh. Man fuhr mit geschlossenen Fenstern, damit der Vikar sich keine Erkältung holte. Am Kirchentor wartete der Küster, um den Kommunionsteller zu übernehmen, und während der Vikar sich in die Sakristei begab, nahmen Mrs. Carey und Philip in ihrem Kirchenstuhl Platz. Mrs. Carey legte das Sechspennystück, das sie jeden Sonntag zu spenden pflegte, vor sich hin und gab Philip ein Dreipennystück. Die Kirche füllte sich allmählich, und der Gottesdienst begann.
Philip langweilte sich während der Predigt; aber wenn er unruhig wurde, legte Mrs. Carey ihm sanft die Hand auf den Arm und blickte ihn vorwurfsvoll an. Sein Interesse kehrte zurück, wenn die Schlusshymne gesungen wurde und Mr. Graves den Teller herumreichte.
Nachdem alle gegangen waren, stattete Mrs. Carey Miss Graves einen Besuch in ihrem Kirchenstuhl ab, um ein wenig mit ihr zu plaudern, während sie auf die Herren warteten, und Philip ging in die Sakristei. Sein Onkel, der Kurat und Mr. Graves hatten immer noch ihre Chorhemden an. Mr. Carey gab Philip das übriggebliebene geweihte Brot und die Erlaubnis, es aufzuessen. Früher hatte er es immer selbst verzehrt (es wegzuwerfen wäre ihm gotteslästerlich erschienen), aber Philips gesunder Appetit enthob ihn dieser Pflicht. Dann wurde das Geld gezählt. Es bestand aus Pennys, Sechspenny- und Dreipennystücken. Jedes Mal waren zwei einzelne Shilling darunter, von Mr. Graves und dem Vikar in den Teller gelegt; manchmal fand sich auch ein Zweishillingstück. Mr. Graves sagte dem Vikar, wer es hineingelegt hatte. Es war kein Einwohner von Blackstable, und Mr. Carey war neugierig, wer es wohl war. Aber Miss Graves hatte die unbesonnene Handlung
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