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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Unerquickliches. Mr.   Carey hatte sich wie gewöhnlich nach dem Mittagessen ins Empfangszimmer zu einem kleinen Schläfchen zurückgezogen, aber er war gereizter Stimmung und konnte nicht schlafen. Josiah Graves hatte am Vormittag energischen Einspruch gegen ein paar Leuchter erhoben, mit denen der Vikar den Altar hatte schmücken wollen. Er hatte sie bei einem Antiquar in Tercanbury gekauft und fand, dass sie sich sehr gut machten. Aber Josiah Graves sagte, sie seien papistisch. Dies war ein Vorwurf, der den Vikar stets empfindlich traf. Er hatte nämlich eine gewisse Sympathie für die Kirche von Rom. Er hätte den Gottesdienst gern ein wenig prunkvoller gestaltet, als es in der puritanischen Gemeinde von Blackstable üblich war, und sehnte sich im tiefsten Inneren seiner Seele nach Prozessionen und Kerzen. Weihrauch ging auch ihm zu weit. Er hasste das Wort Protestant. Er selbst nannte sich Katholik. Er pflegte zu sagen, die Papisten hätten ein Beiwort nötig, nämlich römisch-katholisch, aber die englische Staatskirche wäre katholisch im besten, vollen und edelsten Sinn des Wortes. Er freute sich bei dem Gedanken, dass ihm sein glattrasiertes Gesicht das Aussehen eines Priesters verlieh; in seiner Jugend war das durch sein asketisches Äußeres noch verstärkt. Er berichtete des Öfteren, dass auf einer seiner Reisen nach Boulogne, einer der Reisen, auf die seine Frau aus wirtschaftlichen Rücksichten verzichtet hatte, der Priester zu ihm gekommen war, als er in der Kirche gesessen war, und ihn eingeladen hatte, eine Predigt zu halten. Hilfsgeistliche, die sich entschlossen zu heiraten, entließ er, da er für das Zölibat des Klerus, der kein kirchliches Einkommen hatte, eintrat. Aber als anlässlich einer Wahl die Liberalen in großen, blauen Lettern auf seinen Gartenzaun geschrieben hatten: Hier geht’s nach Rom, war er sehr wütend gewesen und hatte gedroht, die Führer der liberalen Partei von Blackstable zu verklagen. Er fasste den festen Entschluss, dass ihn nichts bewegen sollte, die Leuchter vom Altar zu entfernen, mochte Josiah Graves sagen, was ihm beliebte, und er murmelte ein- oder zweimal ärgerlich ›Bismarck‹ vor sich hin.
    Plötzlich hörte er ein ungewohntes Geräusch. Er zog das Taschentuch vom Gesicht, erhob sich von seinem Sofa und ging ins Speisezimmer. Philip saß am Tisch und hatte seine Bauklötze um sich ausgebreitet. Er hatte ein riesiges Schloss errichtet, aber durch irgendeinen Fehler in der Konstruktion war die ganze Pracht lärmend zusammengefallen.
    »Was tust du da, Philip? Du weißt genau, dass man am Sonntag nicht spielen darf.«
    Philip starrte ihn einen Augenblick mit erschrockenen Augen an und lief, wie es seine Art war, dunkelrot an.
    »Ich habe zu Hause immer gespielt«, antwortete er.
    »Deine liebe Mutter wird dir bestimmt nicht gestattet haben, so ungezogen zu sein.«
    Philip wusste nicht, dass es ungezogen war; und war es wirklich unrecht, wollte er nicht, dass man glaubte, seine Mutter hätte es ihm erlaubt. Er ließ den Kopf hängen und antwortete nicht.
    »Du weißt also nicht, dass es eine schwere Sünde ist, am Sonntag zu spielen? Warum denkst du denn, dass es ein Ruhetag ist? Heute Abend sollst du zur Kirche gehen; willst du deinem Schöpfer wirklich vors Antlitz treten, wenn du am Nachmittag eines seiner höchsten Gesetze gebrochen hast?«
    Mr.   Carey befahl Philip, seine Bauklötze sofort wegzuräumen, und blieb bei ihm stehen, bis das geschehen war.
    »Du bist ein sehr unartiger Junge«, wiederholte er. »Denk an den Kummer, den du deiner armen Mutter im Himmel bereitest.«
    Philip war dem Weinen nahe, aber er schämte sich, etwas davon merken zu lassen, und biss die Zähne aufeinander, um sein Schluchzen zu unterdrücken. Mr.   Carey setzte sich in seinen Lehnstuhl und fing an, in einem Buch zu blättern. Philip stellte sich ans Fenster. Das Pfarrhaus lag etwas abseits der Straße, die nach Tercanbury führte, und vom Speisezimmer aus sah man ein halbkreisförmiges Stück Rasen und dann grüne Wiesen bis zum Horizont. Schafe weideten darauf. Der Himmel war traurig und grau. Philip fühlte sich unendlich unglücklich.
    Nach einer Weile erschien Mary Ann, um den Teetisch zu decken, und Tante Louisa kam die Treppen herunter.
    »Hast du gut geschlafen, William?«, fragte sie.
    »Nein«, antwortete er. »Philip hat so viel Lärm gemacht, dass ich kein Auge zutun konnte.«
    Dies stimmte nicht ganz, denn er war durch seine eigenen Gedanken wach gehalten

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