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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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beseligt; sie hatte ihn aus freien Stücken angesprochen; er sah die Zeit herannahen, da er die Zügel in die Hand bekommen und ihr gründlich seine Meinung sagen würde. Welche Wohltat würde es sein, sie die Grenzenlosigkeit seiner Verachtung fühlen zu lassen. Er betrachtete sie. Es stimmte: Ihr Profil war schön – seltsam, wie häufig man bei englischen Mädchen dieser Gesellschaftsschicht eine geradezu atemberaubende Vollkommenheit des Profils antraf –, aber es war kalt wie Marmor, und der schwach grünliche Ton ihrer zarten Haut machte einen ungesunden Eindruck. Die Kellnerinnen waren alle gleich gekleidet: schlichtes, schwarzes Kleid, weiße Schürze, weiße Manschetten und ein kleines Häubchen. Auf ein Blatt Papier, das er in der Tasche hatte, zeichnete Philip eine Skizze von ihr, wie sie über ihr Buch gebeugt dasaß (sie formte im Lesen die Worte mit den Lippen nach), und ließ das Blatt im Fortgehen auf dem Tisch liegen. Das war eine glückliche Eingebung, denn am folgenden Tag, als er eintrat, lächelte sie ihm entgegen.
    »Ich wusste nicht, dass Sie zeichnen können«, sagte sie.
    »Ich habe zwei Jahre in Paris Malerei studiert.«
    »Ich habe die Zeichnung meiner Chefin gezeigt, und sie war ganz hin und weg. Sie sollte mich darstellen, oder?«
    »Selbstverständlich«, sagte Philip.
    Als sie seinen Tee holte, kam eines der anderen Mädchen auf ihn zu.
    »Ich habe das Bild gesehen, das Sie von Miss Rogers gemacht haben. Es trifft sie sehr gut.«
    Auf diese Weise erfuhr er, wie sie hieß, und als er die Rechnung verlangte, rief er nach Miss Rogers.
    »Ich sehe, Sie kennen meinen Namen«, sagte sie.
    »Ihre Kollegin hat ihn erwähnt, als sie mir vorhin ein Kompliment über meine Zeichnung machte.«
    »Sie möchte, dass Sie sie auch zeichnen. Aber tun Sie es nicht. Wenn Sie einmal anfangen, werden Sie sich nicht mehr retten können. Alle werden ein Bild haben wollen.« Und ohne Pause wechselte sie unvermittelt das Thema: »Wo ist eigentlich der junge Mann, der früher immer mit Ihnen gekommen ist? Ist er nicht mehr hier?«
    »Dass Sie sich noch an ihn erinnern!«, rief Philip.
    »Er sah nett aus.«
    Philip spürte ein merkwürdiges Gefühl im Herzen. Er wusste nicht, was es war. Dunsford hatte hübsches lockiges Haar, einen frischen Teint und ein wunderschönes Lächeln. Philip dachte mit Neid an diese Eigenschaften.
    »Ach, er ist verliebt«, sagte er auflachend.
    Philip wiederholte sich jedes Wort dieses Gespräches, während er nach Hause hinkte. Sie war mittlerweile sehr freundlich zu ihm. Bei Gelegenheit wollte er ihr vorschlagen, eine weniger flüchtige Skizze von ihr anzufertigen. Das würde sie sicherlich freuen. Ihr Gesicht war interessant, das Profil entzückend, und die blutarme Färbung hatte etwas merkwürdig Faszinierendes. Er dachte nach, woran sie ihn erinnerte; zuerst fiel ihm Erbsensuppe ein, aber ärgerlich verwarf er diese Idee und entschied sich für die Blütenblätter einer gelben Rosenknospe, die man öffnete, noch ehe sie aufgeblüht war. Nun fühlte er keine Wut mehr auf das Mädchen.
    »Sie ist eine ganz nette Person«, murmelte er.
    Es war dumm von ihm gewesen, ihr die schnippischen Antworten übelzunehmen; zweifellos war er der Schuldige gewesen; sie hatte nicht die Absicht gehabt, ihn zu verletzen: Und inzwischen sollte er sich daran gewöhnt haben, dass er im ersten Augenblick einen schlechten Eindruck auf die Menschen machte. Es schmeichelte ihm, dass ihr seine Zeichnung gefiel; sie betrachtete ihn, seitdem sie sein Talent entdeckt hatte, mit größerem Interesse. Am nächsten Tag war er völlig ruhelos. Er dachte daran, zum Lunch in die Teestube zu gehen, aber es würden bestimmt sehr viele Leute dort sein, und Mildred würde keine Zeit finden, mit ihm zu sprechen. Er hatte sich längst davon freigemacht, mit Dunsford Tee zu trinken, und pünktlich um halb fünf (mindestens zwanzigmal hatte er auf die Uhr geschaut) begab er sich in das Lokal.
    Mildred hatte ihm den Rücken zugewandt, als er eintrat. Sie saß da und unterhielt sich mit dem Deutschen, den Philip früher täglich, in den letzten vierzehn Tagen jedoch überhaupt nicht mehr gesehen hatte. Sie lachte über etwas, das er ihr erzählte. Philip fand, dass sie ein ordinäres Lachen hatte, und ein Schauder überlief ihn. Er rief sie, aber sie nahm keine Notiz davon; er rief noch einmal, und als sie sich immer noch nicht rührte, wurde er böse und klopfte mit dem Stock laut gegen den Tisch. Mürrisch kam sie

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