Der Menschen Hoerigkeit
anderer, verheiratet und Vater von zwei Kindern, hatte durch einen vertragsbrüchigen Notar Geld verloren; er hatte einen niedergeschlagenen Blick, als könnte er den Anblick der Welt nicht ertragen; still ging er seiner Arbeit nach, und es war offensichtlich, dass er es in seinem Alter für schwierig hielt, Dinge im Gedächtnis zu behalten. Sein Verstand arbeitete langsam. Es schmerzte zu sehen, wie er sich abmühte.
Philip richtete sich in seinen winzigen Zimmern ein. Er stellte seine Bücher auf und schmückte die Wände mit den Bildern und Skizzen, die er mitgebracht hatte. Über ihm wohnte ein Mediziner aus dem fünften Jahr namens Griffith; aber Philip sah ihn nur wenig, teils weil er zumeist in den Kliniken zu tun hatte, teils weil er in Oxford gewesen war. Studenten, die miteinander an einer Universität gewesen waren, grenzten sich weitgehend von den übrigen ab und bedienten sich aller Mittel, um diesen weniger Glücklichen ihre Minderwertigkeit fühlbar zu machen. Griffith war ein großer Bursche mit dichtem, lockigem, rotem Haar, blauen Augen, weißer Haut und einem sehr roten Mund; er war einer jener Glücklichen, die von allen gemocht werden, denn er war immer heiter und fröhlich. Er klimperte ein wenig auf dem Klavier und sang dazu ausgelassene Lieder, und Abend für Abend, wenn Philip in seinem einsamen Zimmerchen saß und las, hörte er über sich übermütiges Lärmen und Lachen von Griffiths Freunden. Er dachte an seine wunderbaren Abende in Paris, an denen sie im Atelier gesessen hatten, Lawson und er, Flanagan und Clutton, und über Kunst und Moral gesprochen hatten, über die aktuellen Liebesaffären und den zukünftigen Ruhm. Das Herz tat ihm weh. Er erkannte, dass es leicht war, etwas Heroisches zu tun, aber schwer, die Folgen zu tragen. Das Schlimmste war, dass ihn seine Arbeit nicht interessierte. Er war es nicht mehr gewohnt, Fragen beantworten zu müssen. Bei Vorlesungen schweiften seine Gedanken ab. Anatomie ödete ihn an; sie bestand aus nichts anderem als dem Auswendiglernen einer ungeheuren Anzahl von Einzelheiten. Das Sezieren fand er langweilig; er verstand nicht, warum man sich so viel Mühe geben musste, Nerven und Arterien freizulegen, wenn man auf Zeichnungen oder an Präparaten im pathologischen Museum um so viel einfacher sehen konnte, wo sie lagen.
Er schloss ein paar zufällige Bekanntschaften, freundete sich aber mit niemandem näher an, denn er hatte mit seinen Kameraden nicht viel gemein. Wenn er versuchte, sich für ihre Angelegenheiten zu interessieren, fühlte er deutlich, dass sie ihn als gönnerhaft empfanden. Er zählte nicht zu jenen, die über das, was sie bewegt, sprechen können, ohne sich darum zu kümmern, ob es die, die ihm zuhören, langweilt oder nicht. Einer hatte gehört, dass Philip in Paris Malerei studiert hatte, und versuchte mit ihm über Kunst zu diskutieren, weil er auf seinen Geschmack sehr stolz war. Aber Philip war unduldsam Ansichten gegenüber, die mit den seinen nicht übereinstimmten, und weil er schnell entschied, dass das Kunstverständnis des anderen sehr gewöhnlich sei, wurde er einsilbig. Philip sehnte sich sehr nach Beliebtheit, konnte sich aber nicht dazu bringen, andern entgegenzukommen. Die Angst, zurückgewiesen zu werden, hinderte ihn daran, liebenswürdig zu sein, und er verbarg seine Schüchternheit, die immer noch sehr groß war, hinter einer eisigen Schweigsamkeit. Er erlebte ungefähr das Gleiche wie während seiner Schulzeit, aber die Freiheit seines studentischen Lebens gab ihm die Möglichkeit, sich von den andern abzusondern.
Es war auf keinerlei Bemühungen von seiner Seite zurückzuführen, dass er sich schließlich mit Dunsford anfreundete, dem kräftigen Jungen mit dem frischen Teint, der sich ihm einzig aus dem Grund anschloss, weil er der erste Mensch gewesen war, den er im St. Luke’s kennengelernt hatte. Dunsford kannte niemanden in London, und er und Philip gewöhnten sich an, samstags miteinander auszugehen, auf einen billigen Sitz bei einem Konzert oder ins Theater. Dunsford war nicht gescheit, aber er war gutmütig und wurde niemals böse; er sagte die banalsten Dinge, lächelte jedoch bloß, wenn Philip ihn auslachte. Er hatte ein reizendes Lächeln. Und trotz aller Überlegenheit hatte Philip ihn gern; er amüsierte sich über seine Naivität und war angetan von seiner Liebenswürdigkeit. Dunsford besaß den Charme, der ihm selbst, wie er schmerzlich fühlte, versagt war.
Nachmittags gingen sie
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