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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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sie ausgeführt und zu Tode gelangweilt habe. Er mochte sie nicht und hatte dennoch das Verlangen, mit ihr zusammen zu sein. Auf dem Heimweg sagte er zu ihr:
    »Ich hoffe, dass Ihnen der Abend Spaß gemacht hat.«
    »Sehr.«
    »Werden Sie wieder einmal mit mir ausgehen?«
    »Ich habe nichts dagegen.«
    Mehr konnte er nicht aus ihr herausbekommen. Ihre Gleichgültigkeit machte ihn rasend.
    »Das klingt, als ob es Ihnen ziemlich egal wäre, ob wir miteinander ausgehen oder nicht.«
    »Ach, wenn Sie mich nicht einladen, nimmt mich ein anderer mit. Ich habe nie Mangel an Männern, die mich ins Theater führen.«
    Philip schwieg. Sie kamen zum Bahnhof, und Philip ging zur Kasse.
    »Ich habe meine Saisonkarte«, sagte sie.
    »Es ist spät, und ich hatte die Absicht, Sie nach Hause zu begleiten.«
    »Wenn es Ihnen Vergnügen macht, bitte.«
    Er nahm zwei Fahrkarten erster Klasse.
    »Nun, knauserig sind Sie nicht, das muss man Ihnen lassen«, sagte sie, als er ihr die Coupétür öffnete.
    Philip wusste nicht, ob er sich freute oder unglücklich war, als andere Leute einstiegen und es unmöglich wurde zu sprechen. Sie stiegen in Herne Hill aus, und er begleitete sie bis an die Ecke der Straße, in der sie wohnte.
    »Ich verabschiede mich lieber schon hier von Ihnen«, sagte sie und hielt ihm die Hand hin. »Es ist besser, wenn Sie nicht bis zur Haustür mitkommen. Sie wissen ja, wie die Leute sind, und ich will keinen Anlass zum Klatsch geben.«
    Sie sagte gute Nacht und ging schnell davon. Ihr weißer Schal leuchtete in der Dunkelheit. Philip dachte, dass sie sich vielleicht noch einmal umdrehen würde, aber das tat sie nicht. Er sah, in welches Haus sie eintrat, und ging nach einer Weile hin, um es näher zu betrachten. Es war ein sauberes gewöhnliches kleines Haus aus gelben Ziegeln, genau wie alle andern Häuser in der Straße. Er blieb ein paar Minuten davor stehen, bis in einem Zimmer im obersten Stock ein Licht ausging. Dann schlenderte er langsam zum Bahnhof zurück. Der Abend war nicht so ausgefallen, wie er gehofft hatte. Er fühlte sich gereizt, unbefriedigt und unglücklich.
    Als er im Bett lag, sah er sie immer noch vor sich, wie sie, den weißen, gehäkelten Schal überm Kopf, in ihrer Coupé-Ecke gesessen hatte. Er wusste nicht, wie er die Stunden bis zum nächsten Wiedersehen durchstehen sollte. Schlaftrunken dachte er an ihr schmales Gesicht mit den zarten Zügen und an die grünliche Blässe ihrer Haut. Er war nicht glücklich in ihrer Nähe, aber unglücklich, wenn er von ihr getrennt war. Es verlangte ihn, neben ihr zu sitzen und sie anzusehen, es verlangte ihn, sie zu berühren, es verlangte ihn – der Gedanke kam ihm, und er beendete ihn nicht, mit einem Mal war alle Schläfrigkeit verschwunden –, es verlangte ihn, ihren schmalen Mund zu küssen, diesen blassen Mund mit den dünnen Lippen. Und endlich wurde er sich der Wahrheit bewusst. Er war in sie verliebt. Es war unglaublich.
    Er hatte sich in Gedanken häufig vorgestellt, wie es sein würde, wenn er sich einmal verliebte, und es gab eine Szene, die er sich immer wieder ausgemalt hatte. Er sah sich in einen Ballsaal eintreten: Seine Augen fielen auf eine Gruppe von Männern und Frauen, die zusammenstanden und sich unterhielten, und eine der Frauen drehte sich um. Sie erblickte ihn, und er wusste, dass ihr der Atem stockte wie ihm selbst. Er stand ganz still. Sie war hochgewachsen und dunkel und schön, ihre Augen glichen der Nacht; sie trug ein weißes Kleid, und in ihrem schwarzen Haar glitzerten Diamanten; sie starrten einander an, die Menschen ringsum waren vergessen. Er trat auf sie zu, und auch sie machte eine kleine Bewegung zu ihm hin. Beide fühlten, dass die Formalität einer Vorstellung nicht nötig war. Er sprach als Erster.
    »Ich habe dich mein ganzes Leben lang gesucht.«
    »Endlich bist du gekommen«, flüsterte sie.
    »Willst du mit mir tanzen?«
    Sie überließ sich seinen ausgestreckten Armen, und sie tanzten. (Philip stellte sich immer vor, dass er nicht lahm war.) Sie tanzte himmlisch.
    »Ich habe noch nie mit jemandem so getanzt wie mit dir.«
    Sie zerriss ihre Tanzordnung, und sie tanzten den ganzen Abend miteinander. Die Leute im Ballsaal starrten sie an. Sie achteten nicht darauf. Sie hatten gar nicht den Wunsch, ihre Leidenschaft zu verbergen. Endlich gingen sie in den Garten. Er warf einen leichten Mantel über ihre Schultern und setzte sie in einen Wagen, der draußen wartete. Sie stiegen in den Nachtzug nach Paris,

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