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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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häufig in eine Teestube in der Parliament Street, weil Dunsford eines von den jungen Mädchen anhimmelte, die dort bedienten. Philip konnte nichts Anziehendes an ihr finden. Sie war groß und dünn, mit schmalen Hüften und knabenhafter Brust.
    »In Paris würde sie kein Mensch ansehen«, meinte er verächtlich.
    »Sie hat ein bezauberndes Gesicht«, erwiderte Dunsford.
    »Das Gesicht spielt keine Rolle.«
    Sie hatte die kleinen regelmäßigen Züge, die blauen Augen und die breite niedrige Stirn, welche die viktorianischen Maler, Lord Leighton, Alma Tadema und hundert andere ihrer Zeitgenossen, als das griechische Schönheitsideal anzusehen gelehrt hatten. Sie hatte sehr viel Haar und trug es kunstvoll frisiert und in die Stirn gekämmt. Sie wirkte äußerst anämisch. Ihre schmalen Lippen waren blass, und ihre zarte Haut hatte einen schwach grünlichen Ton, ohne den geringsten Hauch von Rot. Sie hatte sehr gute Zähne. Sie verwandte große Mühe darauf, sich bei der Arbeit die Hände nicht zu ruinieren, die klein, schmal und weiß waren. Ihren Pflichten ging sie mit gelangweiltem Gesichtsausdruck nach.
    Dunsford, Frauen gegenüber sehr schüchtern, war es nie gelungen, mit ihr ins Gespräch zu kommen, und er drängte Philip, ihm zu helfen.
    »Ich brauche ja nur einen kleinen Einstieg«, sagte er. »Dann geht es schon weiter.«
    Philip richtete, um ihm den Gefallen zu tun, einige Bemerkungen an sie, bekam aber bloß ein paar spärliche Worte zur Antwort. Sie hatte sich bereits ihr Urteil gebildet über ihre beiden Gäste. Sie waren grüne Jungen, vermutlich Studenten. Sie konnte mit ihnen nichts anfangen. Dunsford bemerkte, dass ein Mann mit sandfarbenem Haar und borstigem Schnurrbart, der wie ein Deutscher aussah, in der Teestube immer mit besonderer Hinwendung von ihr empfangen wurde, dann mussten sie sie zwei-, dreimal rufen, um von ihr bedient zu werden. Fremde Kunden behandelte sie mit kühler Unverfrorenheit und zeigte sich, wenn sie sich mit Bekannten unterhielt, taub und unzugänglich für die eiligsten Rufe. Sie beherrschte die Kunst, Frauen gegenüber, die eine Erfrischung wünschten, genau den richtigen Grad von Frechheit zu treffen, um sie zu ärgern, ohne ihnen Gelegenheit zu geben, sich bei der Leitung zu beschweren. Eines Tages fand Dunsford heraus, dass sie Mildred hieß. Er hatte gehört, wie eines der Mädchen sie angeredet hatte.
    »Was für ein abscheulicher Name«, rief Philip.
    »Warum?«, fragte Dunsford. »Ich finde ihn hübsch.«
    »Er ist so prätentiös.«
    Es ergab sich zufällig, dass an diesem Tage der Deutsche nicht da war, und als sie den Tee brachte, bemerkte Philip lächelnd:
    »Ihr Freund ist heute nicht da.«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, entgegnete sie kalt.
    »Ich dachte an den Herrn mit dem roten Schnurrbart. Ist er Ihnen untreu geworden?«
    »Manche Leute täten besser, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern«, erwiderte sie.
    Sie entfernte sich, und da ein paar Minuten lang niemand da war, den sie zu bedienen hatte, setzte sie sich hin und warf einen Blick in die Abendzeitung, die ein Gast liegengelassen hatte.
    »Warum musstest du sie verärgern?«, sagte Dunsford.
    »Sie ist mir vollkommen gleichgültig«, antwortete Philip.
    Aber er ärgerte sich. Seine Eigenliebe sträubte sich, eine derartige Abfuhr hinzunehmen. Und als er die Rechnung verlangte, wagte er einen zweiten Versuch.
    »Sie wollen wohl nichts mehr mit mir zu tun haben?«, sagte er lächelnd.
    »Ich bin hier, um Bestellungen entgegenzunehmen und die Gäste zu bedienen. Sonst habe ich mit Ihnen nichts zu reden und wünsche auch nicht, dass Sie mit mir reden.«
    Sie legte den Zettel hin, auf dem der Betrag stand, den er zu bezahlen hatte, und ging an ihren Tisch zurück. Philip errötete vor Zorn.
    »Das war deutlich, Carey«, sagte Dunsford, als sie draußen waren.
    »Ungezogene Person«, rief Philip. »Dieses Lokal sieht mich nicht wieder.«
    Sein Einfluss auf Dunsford war stark genug, ihn zu bewegen, anderswo Tee zu trinken, und Dunsford fand auch bald ein anderes Mädchen zum Flirten. Aber Philip ließ die erlittene Demütigung keine Ruhe. Hätte ihn die Kellnerin höflich behandelt, so wäre sie ihm vollständig gleichgültig geblieben; durch ihre öffentlich zur Schau gestellte Abneigung jedoch fühlte er sich in seinem Stolz verletzt. Er konnte den Wunsch nicht unterdrücken, es ihr heimzuzahlen. Er ärgerte sich über sein kleinliches Verlangen, aber drei oder vier Tage der Festigkeit,

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