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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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heran.
    »Guten Tag«, sagte er.
    »Sie scheinen es sehr eilig zu haben.«
    Sie schaute mit der unverschämten Miene, die er so gut kannte, zu ihm herab.
    »Was ist denn mit Ihnen los?«, fragte er.
    »Wenn Sie mir gnädigst sagen wollen, was Sie wünschen, werde ich es Ihnen bringen. Ich kann nicht den ganzen Abend dastehen und mich mit Ihnen unterhalten.«
    »Tee und Toast, bitte«, bestellte Philip knapp.
    Er war wütend. Er hatte den Star bei sich und las ostentativ, als sie den Tee brachte.
    »Geben Sie mir gleich die Rechnung, dann brauche ich Sie nicht weiter zu stören«, sagte er eisig.
    Sie schrieb den Zettel, legte ihn auf den Tisch und ging zu dem Deutschen zurück. Bald war sie wieder in eine lebhafte Unterhaltung mit ihm vertieft. Er war ein Mann von mittlerer Größe, mit dem runden Schädel seines Volkes und farblosem Gesicht; sein Schnurrbart war lang und borstig; er hatte einen Gehrock und graue Hosen an und trug eine massive goldene Uhrkette. Philip hatte das Gefühl, dass die anderen Mädchen von ihm zu dem Paar an den Tisch hinübersahen und bedeutungsvolle Blicke tauschten. Er war überzeugt, dass sie ihn auslachten, und sein Blut kochte. Er verabscheute Mildred nun von ganzem Herzen. Er wusste, dass es das Beste wäre, einfach nicht mehr in dieses Café zu kommen, aber er konnte sich in dieser Sache noch nicht geschlagen geben und beschloss, ihr zu zeigen, wie er sie verachtete. Am nächsten Tag setzte er sich an einen andern Tisch und bestellte den Tee bei einer anderen Kollegin. Mildreds Freund war wieder da, und sie unterhielt sich mit ihm. Um Philip kümmerte sie sich nicht, und er wählte daher zum Hinausgehen einen Moment, da sie seinen Weg kreuzen musste; als sie an ihm vorbeikam, schaute er sie an, als hätte er sie nie gesehen. Dies wiederholte er drei oder vier Tage lang. Er erwartete, dass sie ihn nach einiger Zeit anhalten und ansprechen würde; er rechnete damit, dass sie fragen würde, warum er nicht mehr an einem ihrer Tische saß, und für diese Gelegenheit hatte er eine Antwort bereit, die mit dem ganzen Hass geladen war, den er für sie empfand. Er wusste, dass es die Wut nicht wert war, konnte aber seine Gefühle nicht unterdrücken. Sie hatte ihn wieder geschlagen. Der Deutsche verschwand plötzlich, aber Philip setzte sich immer noch an andere Tische. Mildred kümmerte sich nicht um ihn. Mit einem Mal wurde ihm klar, dass ihr vollkommen gleichgültig war, was er tat; er konnte sein Manöver bis zum Jüngsten Tag fortsetzen, es bliebe wirkungslos.
    ›Und doch ist noch nicht aller Tage Abend‹, sagte er sich.
    Am nächsten Nachmittag setzte er sich an seinen alten Platz, und als sie zu ihm kam, begrüßte er sie, als wäre nichts zwischen ihnen vorgefallen. Sein Gesicht war unbewegt, aber er konnte ein wildes Herzklopfen nicht unterdrücken. Zu jener Zeit kamen Operetten gerade sehr in Mode, und er war davon überzeugt, dass Mildred gerne eine sehen würde.
    »Ach«, sagte er plötzlich, »hätten Sie Lust, mit mir essen zu gehen und danach in The Belle of New York ? Ich würde uns Parkettplätze besorgen.«
    Er fügte den letzten Satz hinzu, um sie zu locken. Er wusste, dass Mädchen im Theater gewöhnlich im Parterre saßen, selten aber auf teureren Plätzen als im zweiten Rang, und das nur, falls sie ein Mann mitnahm. Mildreds blasses Gesicht zeigte keinerlei Gefühlsregung.
    »Ich habe nichts dagegen«, erwiderte sie.
    »Wann hätten Sie Zeit?«
    »Donnerstag kann ich früher gehen.« Sie besprachen das Nötige. Mildred wohnte bei einer Tante in Herne Hill. Das Stück fing um acht Uhr an, so dass sie um sieben essen mussten. Sie schlug vor, dass er sie im Wartesaal zweiter Klasse an der Victoria Station treffen sollte. Sie nahm die Einladung an, als gewähre sie ihm eine Gunst. Philip war leise verärgert.
    57
     
    Philip kam fast eine halbe Stunde vor der mit Mildred verabredeten Zeit zur Victoria Station und setzte sich in den Wartesaal zweiter Klasse. Er wartete, und sie erschien nicht. Er fing an, unruhig zu werden, trat auf den Bahnsteig hinaus und spähte auf die ankommenden Vorstadtzüge. Die verabredete Uhrzeit verstrich, und immer noch war keine Spur von Mildred zu sehen. Philip wurde ungeduldig. Er schaute in die anderen Wartesäle und besah sich die Leute, die dort saßen. Mit einem Mal spürte er einen heftigen Ruck im Herzen.
    »Da sind Sie ja. Ich dachte schon, Sie würden gar nicht mehr kommen.«
    »Das ist doch die Höhe, nachdem Sie mich so lange warten

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