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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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an denen er sich mit eisernem Willen zwang, nicht in die Teestube zu gehen, halfen ihm nicht, es zu überwinden, und schließlich gelangte er zu der Überzeugung, dass es das Vernünftigste sein würde, Mildred wiederzusehen. Dann würde er bestimmt aufhören, an sie zu denken. Eine Verabredung vorschützend, denn er schämte sich seiner Schwäche, ließ er Dunsford eines Nachmittags allein und begab sich geradewegs in die Teestube, die er nie mehr zu betreten geschworen hatte. Sofort bei seinem Eintritt erblickte er die Kellnerin und setzte sich an einen ihrer Tische. Er erwartete eine Bemerkung darüber, dass er eine Woche ausgeblieben war, aber als sie seine Bestellung aufnahm, sagte sie kein Wort. Zu andern Gästen hatte er sie sagen gehört:
    »Sie lassen sich ja gar nicht mehr blicken.«
    Sie verriet mit keinem Zeichen, dass sie ihn überhaupt kannte. Um festzustellen, ob sie ihn wirklich vergessen hatte, fragte er, als sie den Tee brachte:
    »War mein Freund heute hier?«
    »Nein, er ist schon ein paar Tage nicht mehr gekommen.«
    Er hätte das Gespräch gern fortgesetzt, war aber merkwürdig nervös, und es fiel ihm nichts ein. Sie ließ ihm auch keine Zeit zur Überlegung, sondern drehte sich sofort um und ging. Erst als er die Rechnung bezahlte, konnte er wieder ein paar Worte anbringen.
    »Scheußliches Wetter, nicht?«, sagte er.
    Es war beschämend, dass er sich zu einer solchen Banalität herabließ, und er konnte sich seine Befangenheit nicht erklären.
    »Mir ist es ziemlich gleich, was für Wetter draußen ist, ich muss ja so oder so den ganzen Tag hier drinnen verbringen.«
    In ihrem Ton lag eine Impertinenz, die ihn eigentümlich irritierte. Eine spöttische Bemerkung kam ihm auf die Lippen, aber er zwang sich, still zu sein.
    ›Wenn sie doch einmal eine wirkliche Unverschämtheit sagen wollte‹, tobte er innerlich, ›damit ich mich beschweren könnte und man sie entließe, das würde ihr recht geschehen.‹
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    Er konnte nicht aufhören, an sie zu denken. Er lachte zornig über seine Torheit: Es war hirnverbrannt, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was eine bleiche kleine Kellnerin zu ihm sagte; aber er fühlte sich seltsam gedemütigt. Obgleich niemand außer Dunsford von seiner Niederlage wusste und dieser sie wahrscheinlich längst vergessen hatte, war es Philip, als könnte er keine Ruhe finden, ehe er sie nicht ausgemerzt hatte. Er überlegte, was er nun tun sollte. Auf alle Fälle wollte er jeden Tag in die Teestube gehen; es war klar, dass er einen schlechten Eindruck gemacht hatte, aber mit ein wenig Verstand würde es ihm schon gelingen, ihn zu verwischen; er wollte sich zusammennehmen und nicht das Geringste sagen, was einen empfindlichen Menschen verletzen konnte. All das tat er, aber es hatte keinerlei Wirkung. Wenn er beim Eintreten guten Abend sagte, antwortete Mildred mit den gleichen Worten, unterließ er es aber, um zu sehen, ob sie als Erste grüßen würde, dann sagte sie auch nichts; bei sich murmelte er ein Schimpfwort, das zwar oft auf Angehörige des weiblichen Geschlechts angewandt wird, aber in Gesellschaft sehr selten zu hören ist, bestellte seinen Tee aber mit unbewegtem Gesicht. Er beschloss nun, kein Wort mehr zu sprechen, und verließ die Teestube ohne den gewohnten Gruß. Er schwor sich, nie mehr hinzugehen, aber am nächsten Tag wurde er um die gewohnte Stunde unruhig. Er versuchte, an andere Dinge zu denken, hatte aber keine Herrschaft über seine Gedanken. Endlich sagte er sich verzweifelt: ›Warum soll ich eigentlich nicht hingehen, wenn ich Lust dazu habe?‹
    Der Kampf mit sich selbst hatte lange gedauert, und es war beinahe sieben Uhr, als er die Teestube betrat.
    »Ich dachte schon, Sie würden nicht kommen«, sagte das Mädchen zu ihm, als er sich setzte.
    Sein Herz machte einen Sprung, und er fühlte, dass er errötete. »Ich wurde aufgehalten. Ich konnte nicht früher kommen.«
    »Wahrscheinlich mussten Sie noch schnell ein paar Menschen aufschneiden?«
    »Na, ganz so schlimm war es nicht.«
    »Sie studieren wohl, nicht wahr?«
    »Ja.«
    Aber damit schien ihre Neugier befriedigt. Sie entfernte sich, und da zu dieser späten Stunde keine Gäste mehr da waren, vertiefte sie sich in einen Groschenroman. Das war noch in der Zeit vor den günstigen Sixpenny-Ausgaben literarischer Werke. Es gab damals ein regelmäßiges Angebot von billigen Romanen, die Lohnschreiber auf Bestellung verfassten, um den Bedarf der Ungebildeten zu decken. Philip war

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