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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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und durch die stille, sternhelle Nacht flogen sie dem Unbekannten entgegen.
    Er dachte an diese alte Phantasie, und es schien ihm unfassbar, dass er nun Mildred Rogers liebte. Ihr Name war grotesk. Er fand sie nicht einmal hübsch; ihre Magerkeit störte ihn; gerade an diesem Abend hatte er bemerkt, wie an ihrem Dekolleté die Knochen hervorstanden; er ließ die Einzelheiten ihres Gesichtes an sich vorüberziehen; ihr Mund gefiel ihm nicht, und die ungesunde Farbe ihrer Haut fand er etwas abstoßend. Sie war gewöhnlich. Ihre Redensarten, so spärlich, platt und ständig wiederkehrend, zeigten deutlich ihre innere Leere; er erinnerte sich, wie innig sie im Theater über die banalsten Witze gelacht hatte, und er erinnerte sich an den affektiert gespreizten kleinen Finger, wenn sie ein Glas zum Mund führte; ihre Manieren waren ebenso wie ihre Gespräche unerträglich ›fein‹. Er entsann sich ihrer Unverschämtheit; manchmal war er in Versuchung geraten, sie zu ohrfeigen, und plötzlich – ob nun durch die Erinnerung an diese Regung oder durch den Gedanken an ihre winzigen, wundervollen Ohren – stieg eine heiße Welle von Gefühlen in ihm auf. Er sehnte sich nach ihr. Er wünschte sich, sie in die Arme zu schließen, den kleinen, zerbrechlichen Körper, und ihren blassen Mund zu küssen; mit den Fingern wollte er über ihre grünlichen Wangen streicheln. Er begehrte sie.
    Er hatte sich die Liebe als eine Verzückung vorgestellt, die einem die ganze Welt frühlingshaft erscheinen ließ, als eine überschwengliche Glückseligkeit; aber dies war kein Glück, es war ein Hungern der Seele, ein schmerzvolles Sehnen, eine bittere Qual, wie er sie nie zuvor erfahren hatte. Er versuchte sich zu erinnern, wann es ihn zum ersten Mal gepackt hatte. Aber er wusste es nicht mehr. Er erinnerte sich nur, dass er jedes Mal, wenn er in die Teestube gekommen war, einen merkwürdigen kleinen Schmerz im Herzen gespürt hatte, und er erinnerte sich an ein sonderbares Gefühl von Atemlosigkeit, wenn sie mit ihm gesprochen hatte. Wenn sie von ihm fortging, war er elend, wenn sie wieder da war, verzweifelt.
    Er streckte sich in seinem Bett, wie sich ein Hund streckt, und fragte sich voll Angst, wie er diesen unaufhörlichen Schmerz in seinem Innern ertragen sollte.
    58
     
    Philip erwachte früh am nächsten Morgen, und sein erster Gedanke war Mildred. Es fiel ihm ein, dass er sie an der Victoria Station erwarten und bis zur Teestube begleiten könnte. Er rasierte sich rasch, fuhr eilig in seine Kleider und sprang in einen Autobus. Zwanzig Minuten vor acht war er am Bahnhof und beobachtete die einlaufenden Züge. Scharen von Menschen entströmten ihnen zu dieser frühen Stunde, Beamte und Geschäftsangestellte, und drängten sich auf den Bahnsteig; sie eilten dahin, paarweise bisweilen, manchmal in Gruppen, am häufigsten aber einzeln. Die meisten von ihnen waren bleich und hässlich in dem fahlen Licht des Morgens und hatten einen geschäftigen Ausdruck; die Jüngeren gingen leicht dahin, als wäre es angenehm, auf dem Zement zu gehen, aber die andern liefen wie von einer Maschine getrieben: Ihre Gesichter waren finster und kummervoll verzerrt.
    Endlich erblickte Philip Mildred und trat freudig auf sie zu.
    »Guten Morgen«, sagte er. »Ich bin gekommen, um zu sehen, wie Ihnen der gestrige Abend bekommen ist.«
    Sie trug einen alten braunen Pullover und einen Matrosenhut. Es war deutlich zu merken, dass sie nicht übermäßig erfreut war, ihn zu sehen.
    »Ach, danke. Es geht mir gut. Ich habe große Eile.«
    »Erlauben Sie, dass ich Sie ein Stück begleite?«
    »Es ist sehr spät. Ich werde schnell gehen müssen«, antwortete sie mit einem Blick auf Philips Klumpfuß.
    Er wurde purpurrot.
    »Verzeihen Sie. Ich will Sie nicht aufhalten.«
    »Wie Sie meinen.«
    Sie ging davon, und er machte sich wehen Herzens wieder auf den Heimweg. Er hasste sie. Er wusste, dass es eine Dummheit war, sich ihretwegen zu grämen; dieser Frau würde er niemals auch nur das Geringste bedeuten, sein Gebrechen musste ihr Abscheu einflößen. Er beschloss, an diesem Nachmittag nicht in die Teestube zu gehen, aber so sehr er sich auch verachtete, er ging schließlich doch hin. Sie nickte ihm zu, als er eintrat, und lächelte.
    »Mir scheint, ich war heute früh recht kurz angebunden«, sagte sie. »Aber ich hatte so gar nicht erwartet, Sie zu sehen, und war ganz überrascht.«
    »Ach, das macht nichts.«
    Ihm war zumute, als fiele plötzlich ein großes Gewicht

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