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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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von ihm ab. Unendliche Dankbarkeit erfüllte sein Herz.
    »Warum setzen Sie sich nicht ein wenig zu mir?«, fragte er. »Es braucht Sie doch im Augenblick niemand.«
    »Schön, auf ein Weilchen kann ich mich zu Ihnen setzen.«
    Er sah sie an, aber es fiel ihm nichts zu sagen ein; er zermarterte sich den Kopf, um eine Bemerkung zu finden, die sie in seiner Nähe festhielt; er wollte ihr sagen, wie viel sie ihm bedeutete, aber nun, da er wirklich verliebt war, kamen ihm keine verliebten Reden in den Sinn.
    »Wo ist Ihr Freund mit dem roten Schnurrbart? Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen?«
    »Ach, er ist nach Birmingham zurückgefahren, wo er arbeitet. Er kommt nur ab und zu nach London.«
    »Ist er in Sie verliebt?«
    »Das müssen Sie ihn fragen«, antwortete sie lachend. »Übrigens geht es Sie nicht das Geringste an.«
    Eine bittere Antwort lag ihm auf der Zunge, aber er hatte gelernt, sich zu beherrschen.
    »Ich frage mich, warum Sie immer solche Dinge sagen«, war alles, was er sich gestattete.
    Sie blickte ihn mit ihren gleichgültigen Augen an.
    »Es sieht nicht gerade aus, als ob Sie sich besonders viel aus mir machten«, sagte er.
    »Warum sollte ich.«
    »Ach, lassen wir das einfach.«
    Er griff nach der Zeitung.
    »Sind Sie aber empfindlich«, sagte sie. »Gleich sind Sie beleidigt.«
    Er lächelte und schaute sie wieder freundlicher an.
    »Wollen Sie mir zuliebe etwas tun?«, fragte er.
    »Hängt davon ab, was es ist.«
    »Erlauben Sie mir, dass ich Sie am Abend zum Bahnhof bringe?«
    »Wenn es Ihnen Spaß macht.«
    Er ging, nachdem er seinen Tee getrunken hatte, wieder in seine Wohnung zurück, aber um acht Uhr, als das Lokal geschlossen wurde, wartete er draußen.
    »Sie sind ein komischer Mensch«, sagte sie, als sie herauskam. »Ich verstehe Sie nicht.«
    »Das merke ich«, antwortete er bitter.
    »Hat eines der Mädchen gesehen, dass Sie hier auf mich warten?«
    »Ich weiß nicht. Es ist mir auch vollkommen gleichgültig.«
    »Alle lachen über Sie. Sie behaupten, Sie wären in mich verschossen.«
    »Was kümmert es Sie?«, murmelte er.
    »Na, nur nicht gleich böse sein!«
    Auf dem Bahnhof löste er eine Karte und erklärte, dass er sie nach Hause begleiten wolle.
    »Sie scheinen ja reichlich Zeit zu haben«, bemerkte sie.
    »Jedenfalls kann ich mit ihr anfangen, was mir beliebt.«
    Immer waren sie um Haaresbreite von einem Streit entfernt. Im Grunde hasste er sich wegen seiner Liebe zu ihr. Sie schien immer darauf erpicht, ihn zu verletzen, und jede Demütigung, die sie ihm zufügte, wollte er ihr vergelten. Aber an jenem Abend war sie freundlich gestimmt und auch gesprächiger als sonst; sie erzählte ihm, dass sie keine Eltern mehr habe. Sie gab ihm zu verstehen, dass sie es eigentlich nicht nötig habe, ihren Unterhalt zu verdienen, und mehr zum Zeitvertreib arbeite: »Meine Tante ist gar nicht einverstanden, dass ich arbeiten gehe. Ich kann zu Hause haben, was ich will. Nicht dass Sie denken, ich arbeite, weil ich müsste.«
    Philip wusste, dass sie nicht die Wahrheit sprach. Aufgrund ihrer Herkunft gebrauchte sie diesen Vorwand, um der Schande, sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen zu müssen, zu entgehen.
    »Meine Familie ist sehr gut situiert.«
    Philip lächelte schwach, und sie merkte es.
    »Worüber lachen Sie?«, fragte sie schnell. »Glauben Sie vielleicht, ich lüge?«
    »Aber keine Spur!«
    Sie schaute ihn misstrauisch an, aber im nächsten Moment schon siegte die Versuchung, ihm mit dem Glanz ihrer Kindertage zu imponieren.
    »Mein Vater hielt sich einen Jagdwagen, und wir hatten drei Dienstleute: eine Köchin, ein Hausmädchen und einen Diener für alles. Wir haben wunderschöne Rosen gezogen. Oft haben Spaziergänger gefragt, wem das Haus gehöre, weil die Rosen so schön waren. Es ist natürlich nicht gerade angenehm, immer mit den Mädchen in der Teestube zu tun zu haben – schließlich gehören sie einer anderen Schicht an als ich, und aus diesem Grunde werde ich den Beruf einmal aufgeben. Die Arbeit an sich würde mir nichts ausmachen.«
    Sie saßen einander im Zug gegenüber, und Philip, der ihren Reden teilnahmsvoll zuhörte, fühlte sich ganz glücklich. Ihre Naivität belustigte und rührte ihn zugleich. Ihre Wangen waren leicht gerötet. Er dachte daran, wie köstlich es sein müsste, die Spitze ihres Kinns zu küssen.
    »Ich merkte sofort, als ich Sie zum ersten Mal sah, dass Sie ein Gentleman sind in jedem Sinn des Wortes. Was war Ihr Vater

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