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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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hielt nach Miller Ausschau, konnte ihn aber nirgends erblicken. Nach zehn Minuten kam Mildred heraus. Sie war genauso gekleidet wie damals, als sie mit ihm im Theater gewesen war. Es war unverkennbar, dass sie nicht nach Hause ging. Sie erblickte ihn, ehe er noch Zeit hatte, sich zu entfernen, blieb einen Moment verdutzt stehen und ging dann schnurstracks auf ihn zu.
    »Was machen Sie hier?«, fragte sie.
    »Luft schnappen«, war seine Antwort.
    »Sie spionieren mir nach, Sie gemeiner Mensch. Ich hatte gedacht, Sie wären ein Gentleman.«
    »Halten Sie es für möglich, dass ein Gentleman sich für Sie interessieren könnte?«
    Irgendein Teufel in seinem Innern zwang ihn zu einer solchen Antwort. Er wollte ihr ebenso weh tun wie sie ihm.
    »Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig. Sie können mich nicht zwingen, mit Ihnen auszugehen. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich nach Hause muss, und ich verbitte es mir, kontrolliert und bespitzelt zu werden.«
    »Haben Sie heute Miller gesehen?«
    »Das geht Sie nichts an! Aber ich habe ihn nicht gesehen. Sie sind also im Unrecht.«
    »Ich habe ihn gesehen. Ich bin ihm am Nachmittag begegnet, als er eben die Teestube verließ.«
    »Und was ist dabei? Glauben Sie, ich werde mir von Ihnen verbieten lassen, mit ihm auszugehen?«
    »Er lässt Sie wohl warten, wie?«
    »Ach, es ist mir lieber, auf ihn zu warten, als von Ihnen erwartet zu werden. Das können Sie sich merken. Und jetzt werden Sie vielleicht nach Hause gehen und sich in Zukunft um Ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.«
    Seine Wut schlug mit einem Mal in Verzweiflung um, und seine Stimme zitterte, als er sprach.
    »Seien Sie doch nicht so grässlich zu mir, Mildred. Sie gefallen mir so gut, und ich glaube, ich habe mich in Sie verliebt. Wollen Sie es sich nicht noch einmal überlegen? Ich hatte mich so sehr auf diesen Abend gefreut. Sie sehen doch, dass er nicht gekommen ist; Sie sind ihm wahrscheinlich vollkommen gleichgültig. Wollen Sie nicht mit mir essen gehen? Ich werde neue Karten besorgen, und wir sehen ein Stück, egal, welches Sie wollen.«
    »Nein, das kann ich nicht. Es hat keinen Sinn, weiter darüber zu reden. Wenn ich mich einmal entschieden habe, bleibe ich dabei.«
    Er sah sie einen Augenblick an. Es zerriss ihm das Herz. Auf dem Trottoir drängten sich die Menschen, und Droschken und Busse rollten lärmend vorbei. Er sah, dass Mildreds Augen suchend umherspähten. Sie hatte Angst, Miller in der Menge zu verpassen.
    »So geht es nicht weiter«, stöhnte Philip. »Es ist zu erniedrigend. Wenn ich jetzt gehe, gehe ich für immer. Wenn Sie heute Abend nicht mit mir kommen, sehen Sie mich nie wieder.«
    »Ich bin froh, wenn ich Sie los bin.«
    »Dann adieu!«
    Er nickte und hinkte langsam davon, denn er hoffte von ganzem Herzen, dass sie ihn zurückrufen würde. Beim nächsten Laternenpfahl blieb er stehen und drehte sich um. Wenn sie ihn jetzt rief, wollte er alles vergessen; er war zu jeder Demütigung bereit, wollte alles vergessen – aber sie hatte sich abgewandt und dachte offenbar gar nicht mehr an ihn. Es wurde ihm klar, dass sie wirklich froh war, ihn los zu sein.

59
     
    Philip verbrachte den Abend trostlos und unglücklich. Er hatte seiner Wirtin gesagt, dass er nicht zu Hause sein würde, so dass kein Abendbrot für ihn vorbereitet war und er zum Essen ausgehen musste. Danach kehrte er in sein Zimmer zurück, aber Griffith in dem Stockwerk über ihm hatte Gäste eingeladen, und die lärmende Unterhaltung ließ ihm sein Unglück nur noch unerträglicher erscheinen. Er ging in ein Varieté, aber es war Samstag, und er konnte nur noch einen Stehplatz ergattern. Nach einer halben Stunde langweilte er sich und schlenderte wieder nach Hause. Er versuchte zu lesen, konnte sich aber nicht konzentrieren; dabei war es notwendig, dass er fleißig arbeitete. Seine Biologieprüfung stand unmittelbar bevor, er hatte in der letzten Zeit seine Vorlesungen vernachlässigt und wusste noch gar nichts. Aber es war eine einfache Prüfung, und er war überzeugt, dass er in den vierzehn Tagen, die ihm noch blieben, das Nötigste lernen konnte. Er vertraute auf seine Intelligenz. So warf er sein Buch beiseite und gab sich ungehemmt den Gedanken hin, die ihn mehr als alles andere beschäftigten.
    Er machte sich bittere Vorwürfe wegen seines Benehmens. Warum hatte er Mildred vor die Alternative gestellt, mit ihm auszugehen oder ihn nie mehr wiederzusehen? Selbstverständlich musste sie dazu nein sagen. Er hatte ihren

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