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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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jemals wiederkehren würde? Er hatte leidenschaftlich gern gelesen; aber auch Bücher gaben ihm nun nichts mehr: Seine freien Stunden brachte er im Rauchzimmer der Hospital-Klubs zu, wo er in unzähligen Zeitschriften blätterte. Diese Liebe war eine Qual, und er vermerkte mit Bitterkeit, dass sie ihn unterjochte; er war ein Gefangener, und er sehnte sich nach Freiheit.
    Manchmal erwachte er des Morgens und empfand nichts. Dann jubelte er, denn er wähnte sich befreit, seine Liebe war überwunden; aber nach einer Weile erwachte der Schmerz wieder und nistete sich in seinem Herzen ein. Obgleich er sich so wahnsinnig nach Mildred verzehrte, verabscheute er sie. Und er sagte sich, dass es keine ärgere Qual geben konnte, als zu lieben und gleichzeitig zu hassen.
    Seinen Gefühlen nachspürend, wie es seine Gewohnheit war, und andauernd über seinen Zustand nachgrübelnd, gelangte Philip zu der Ansicht, dass er sich von seiner erniedrigenden Leidenschaft nur dadurch heilen konnte, indem er Mildred zu seiner Geliebten machte. Es war sexuelle Begierde, an der er litt, und wenn er diese befriedigen konnte, könnte er sich auch von den unerträglichen Fesseln befreien, die ihn gefangen hielten. Zwar wusste er, dass sie in dieser Hinsicht nichts für ihn empfand. Wenn seine Küsse drängender wurden, zog sie sich jedes Mal von ihm zurück. Sie war kalt. Manchmal hatte er versucht, sie eifersüchtig zu machen, indem er von Abenteuern in Paris erzählte. Aber diese Abenteuer interessierten sie nicht. Ein paarmal hatte er sich in der Teestube an einen anderen Tisch gesetzt und mit der Kellnerin, die ihn bediente, geflirtet; sie blieb vollkommen gleichgültig. Das war keine Komödie, es berührte sie nicht.
    »Du bist doch nicht böse, dass ich mich heute an einen andern Tisch gesetzt habe?«, fragte er einmal, als er sie zum Bahnhof begleitete. »Bei dir war kein Platz mehr.«
    Das stimmte nicht, aber sie nahm es widerspruchslos hin. Er lechzte nach einem Wort des Vorwurfs, und sei es gespielt. Es wäre Balsam für seine Seele gewesen.
    »Ich finde es ohnehin dumm, dass du jeden Tag am selben Tisch sitzt. Du solltest ab und an auch mal die anderen Mädchen beehren.«
    Aber je mehr er darüber nachdachte, desto fester wurde seine Überzeugung, dass er nur durch ihre restlose Hingabe Befreiung finden konnte. Er glich dem verzauberten Prinzen aus dem Märchen, der unablässig nach den Mitteln sucht, die ihm seine wahre und edle Gestalt wiedergeben können. Philip hatte nur eine Hoffnung. Mildred wünschte sich brennend, nach Paris zu fahren. Wie den meisten Engländern erschien es ihr als das Zentrum des Vergnügens und der Mode: Sie hatte vom Magasin du Louvre gehört, wo man den letzten Schrei um die Hälfte billiger als in London bekommen konnte; eine ihrer Freundinnen hatte die Flitterwochen in Paris verbracht und war den ganzen Tag hindurch in diesem Kaufhaus gewesen; »und sie und ihr Mann, mein Lieber, gingen nie vor sechs Uhr in der Früh ins Bett; das Moulin Rouge und noch alles Mögliche andere«. Philip war es egal, dass es für sie nur der widerwillig bezahlte Preis für die Erfüllung ihres Wunsches wäre, wenn sie auf seinen Vorschlag einginge. Er kümmerte sich nicht darum, mit welchen Mitteln er seine Leidenschaft befriedigte. Er hatte sogar die verrückte, melodramatische Idee gehabt, sie mit einem Schlafmittel zu betäuben. Er hatte ihr mit Alkohol zugesetzt, um sie in Stimmung zu bringen, aber Wein schmeckte ihr nicht; und obwohl sie gerne Champagner bestellte, weil es gut aussehe, trank sie nie mehr als ein halbes Glas. Sie liebte es, ein volles Glas unberührt stehenzulassen.
    »Es zeigt dem Kellner, wer man ist«, sagte sie.
    Er wählte einen Tag, an dem sie freundlicher und aufgeschlossener war als gewöhnlich. Ende März wollte er seine Anatomieprüfung ablegen. Eine Woche später kam Ostern, und Mildred würde drei volle Tage frei haben.
    »Sag, könnten wir nicht miteinander nach Paris fahren?«, fragte er, »das wäre doch herrlich, nicht?«
    »Woher willst du das Geld nehmen? So ein Reise ist doch furchtbar teuer.«
    Aber Philip hatte sich bereits alles überlegt. Es würde mindestens fünfundzwanzig Pfund kosten. Das war eine große Summe. Er war bereit, seinen letzten Penny zu opfern.
    »Was liegt daran! Sag zu, Liebling!«
    »Und sonst willst du nichts? Ich kann doch nicht mit einem Mann fahren, mit dem ich nicht verheiratet bin. Du solltest gar nicht erst auf solche Ideen kommen.«
    »Was hat das

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