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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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sie ihm weh tat. Er hatte verstanden, dass sein leidenschaftlicher Kummer sie anstrengte, und bemühte sich, jedes Gefühl zu verstecken, das ihr auch nur im Geringsten Verdruss bereiten könnte. Er war heroisch.
    Obgleich Mildred die Veränderung in seinem Verhalten nie ansprach, denn sie nahm keine bewusste Notiz davon, hatte sie doch eine gewisse Wirkung: Sie vertraute sich ihm an. Mildred kam mit all ihren Kümmernissen zu ihm, und es gab immer irgendwelche Kümmernisse mit ihrer Chefin, den anderen Mädchen, ihrer Tante; sie erzählte viel, und mochte, was sie sagte, noch so banal sein – er wurde nie müde, ihr zuzuhören.
    »Ich mag dich, wenn du nicht von Liebe mit mir sprichst«, meinte sie eines Tages.
    »Das ist sehr schmeichelhaft für mich«, sagte er lachend.
    Sie ahnte nicht, wie schmerzlich ihn ihre Worte trafen und was für eine Anstrengung es ihn kostete, so unbekümmert zu antworten.
    »Oh, es macht mir nichts, wenn du mir hie und da einen Kuss gibst. Mir tut es nicht weh, und dir macht es Vergnügen.«
    Gelegentlich ging sie so weit, ihn zu bitten, abends mit ihr auszugehen, dann kannte seine Seligkeit keine Grenzen, weil die Anregung von ihr kam.
    »Das würde ich bei keinem anderen tun«, sagte sie gleichsam entschuldigend. »Dir gegenüber kann ich mir das erlauben.«
    »Du könntest mir keine größere Freude machen«, war seine Antwort.
    Eines Abends im April gingen sie auf ihren Vorschlag hin miteinander essen.
    »Wo wollen wir nachher hingehen?«, fragte er sie.
    »Ach, lass uns einfach sitzen und plaudern. Es ist dir doch recht?«
    »Das will ich meinen!«
    Fast schien es, als finge sie an, ihn liebzugewinnen. Vor drei Monaten hätte es sie zu Tode gelangweilt, einen Abend mit ihm zu verplaudern. Es war ein schöner Tag, und der Frühling machte Philip froh. Er war nun schon mit sehr wenig zufrieden.
    »Ach, ich freue mich ja so auf den Sommer«, sagte er, als sie im Oberstock eines Busses nach Soho fuhren – sie hatte selbst vorgeschlagen, dass sie nicht so verschwenderisch sein sollten, einen Wagen zu nehmen. »Jeden Sonntag wollen wir auf dem Fluss verbringen. Unser Essen nehmen wir mit.«
    Sie lächelte leicht, und er wagte es, ihre Hand zu nehmen. Sie entzog sie ihm nicht.
    »Jetzt hast du mich doch schon ein bisschen lieb, nicht?«, sagte er lächelnd.
    »Du Dummer. Wenn ich dich nicht liebhätte, wäre ich nicht hier.«
    Sie waren allmählich Stammgäste in dem kleinen Restaurant in Soho geworden, und die patronne lächelte ihnen zu, wenn sie hereinkamen. Der Kellner war voll Ehrerbietung.
    »Lass mich heute das Essen bestellen«, sagte Mildred.
    Philip fand sie bezaubernder denn je und reichte ihr die Speisekarte. Sie wählte ihre Lieblingsgerichte. Die Auswahl war klein, und sie hatten alles, was das Restaurant zu bieten hatte, viele Male gegessen. Philip war glücklich. Er schaute ihr in die Augen und verweilte bei der Vollkommenheit ihrer blassen Wangen. Nach dem Essen nahm Mildred ausnahmsweise eine Zigarette. Sie rauchte sehr selten.
    »Es gefällt mir nicht, wenn Frauen rauchen«, sagte sie.
    Sie zögerte einen Augenblick, dann sprach sie.
    »Hat es dich überrascht, dass ich dich gebeten habe, mit mir heute Abend essen zu gehen?«
    »Es hat mich gefreut.«
    »Ich habe dir etwas zu sagen, Philip.«
    Er blickte schnell zu ihr hinüber, und sein Herz sank. Aber er hatte gelernt, sich zu beherrschen.
    »Nun, los!«, antwortete er.
    »Aber du wirst hoffentlich nicht unvernünftig sein. Ich muss dir nämlich mitteilen, dass ich heiraten werde.«
    »Ach wirklich?«, sagte Philip.
    Es fiel ihm nichts anderes ein. Er hatte oft an diese Möglichkeit gedacht und sich auszumalen versucht, was er tun und sagen würde. Er hatte Qualen gelitten bei dem Gedanken an die Verzweiflung, an die Raserei, die ihn ergreifen würde; er hatte an Selbstmord gedacht; aber vielleicht hatte er all diese Erschütterungen in der Phantasie zu oft durchlebt; was er nun fühlte, war nichts anderes als eine grenzenlose Erschöpfung. Es war ihm zumute wie bei einer schweren Krankheit, wenn die Lebenskraft so geschwächt ist, dass es einem gleichgültig ist, ob man gesund wird oder nicht, und man nur in Ruhe gelassen werden möchte.
    »Ich muss an die Zukunft denken, weißt du. Schließlich bin ich vierundzwanzig, und es ist Zeit, dass ich mich häuslich einrichte.«
    Er antwortete nicht. Er schaute die patronne an, die hinter der Theke saß, und seine Augen blieben auf der roten Feder haften, die eine von den

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