Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
Vom Netzwerk:
unterdrücken, trank er ein Glas Wein.
    »Hast du das Mädchen gesehen, das eben zur Tür hinausgegangen ist?«, fragte Mildred unvermittelt. »Den Pelz hat sie bei Bon Marché in Brixton gekauft. Ich habe ihn in der Auslage liegen sehen, als ich kürzlich vorbeigegangen bin.«
    Philip lächelte grimmig.
    »Worüber lachst du?«, fragte sie. »Es ist wahr. Und damals habe ich zu meiner Tante gesagt, ich würde nichts kaufen, was in der Auslage gelegen hat, denn dann weiß jeder, wie viel ich dafür bezahlt habe.«
    »Ich verstehe dich nicht. Du machst mich fürchterlich unglücklich, und im nächsten Augenblick redest du belangloses Zeug, das nichts mit dem zu tun hat, worüber wir sprechen.«
    »Du bist gehässig«, antwortete sie gekränkt. »Ich kann nichts dafür, dass mir dieser Pelz aufgefallen ist, denn ich habe meiner Tante gesagt…«
    »Ich kümmere mich verdammt wenig um das, was du zu deiner Tante gesagt hast«, unterbrach er sie ungeduldig.
    »Ich wünschte, du würdest solche Ausdrücke vermeiden, wenn du mit mir sprichst, Philip. Du weißt, ich mag das nicht.«
    Er lächelte ein wenig, aber seine Augen blitzten vor Wut. Eine Weile schwieg er. Finster schaute er zu ihr hinüber. Wie hasste, wie verachtete, wie liebte er sie!
    »Wenn ich nur eine Spur von Verstand hätte«, sagte er schließlich, »würde ich dich nie mehr wiedersehen. Du ahnst nicht, wie tief ich mich wegen meiner Liebe zu dir verachte.«
    »Ich finde es nicht gerade nett, dass du solche Dinge zu mir sagst«, war die unwillige Antwort.
    »Nicht?«, lachte er. »Lass uns in den Pavillon gehen!«
    »Das Komische an dir ist, dass du zu lachen beginnst, wenn niemand es erwartet. Warum gehst du mit mir in den Pavillon, wenn ich dich so unglücklich mache? Ich bin durchaus bereit, nach Hause zu gehen.«
    »Weil ich mit dir weniger unglücklich bin als ohne dich.«
    »Ich möchte wissen, was du wirklich über mich denkst.«
    Er lachte aus vollem Hals.
    »Meine Liebe, wenn du das wüsstest, würdest du nie mehr mit mir sprechen.«
    63
     
    Philip bestand die Anatomieprüfung nicht, die Ende März stattfand. Er und Dunsford hatten miteinander am Skelett gearbeitet, bis sie jedes Knöchelchen, jedes kleinste Gelenk des menschlichen Körpers auswendig wussten, aber im Prüfungssaal wurde Philip nervös und versagte bei den einfachsten Antworten aus lauter Angst, sie könnten falsch sein. Er wusste, dass er durchgefallen war, und nahm sich am nächsten Tag nicht einmal die Mühe, nach den Prüfungsresultaten zu sehen. Sein zweiter Misserfolg reihte ihn endgültig unter die unfähigen und faulen Elemente seines Jahrganges ein.
    Es lag ihm nicht viel daran. Er hatte an andere Dinge zu denken. Er sagte sich, dass Mildred Sinne hatte wie jede andere Frau und dass es nur darum ging, sie zu erwecken; er hatte sich seine Theorien über Frauen zurechtgelegt und war sich sicher, dass der Tag kommen musste, an dem seine Beharrlichkeit belohnt wurde. Es ging darum, die richtige Gelegenheit abzuwarten, die Beherrschung nicht zu verlieren, sie mit kleinen Aufmerksamkeiten gefügig zu machen, ihre körperliche Erschöpfung auszunutzen, die ihr Herz für Zärtlichkeiten öffnete, und sich zu einer Art Hafen für Mildred zu machen, einer Zuflucht vor allen Ärgerlichkeiten ihres Lebens. Er erzählte ihr von den Beziehungen zwischen seinen Freunden in Paris und den schönen Damen, die sie bewunderten. Das Leben, das er beschrieb, hatte einen Zauber, eine unbeschwerte Fröhlichkeit, an der nichts Rohes war. Die Abenteuer von Mimi und Rodolphe, von Musette und den anderen, verwob er mit seinen eigenen Erinnerungen und erfand für Mildreds Ohren eine Geschichte von Armut, die durch Gesang und Lachen malerisch wurde, von einer alle Gesetze sprengenden Liebe, romantisch durch Schönheit und Jugend. Er griff Mildreds Vorurteile niemals direkt an, sondern suchte sie durch Andeutungen zu bekämpfen, dass er sie kleinbürgerlich fand. Er ließ sich niemals durch ihre Unaufmerksamkeit stören, noch durch ihre Gleichmütigkeit aus der Fassung bringen. Schien es ihm, dass er sie langweilte, so setzte er alles daran, sich liebenswürdig und unterhaltsam zu zeigen; er gestattete sich niemals, böse zu werden, er bat nie um etwas, er klagte nie, er schalt nie. Wenn sie Verabredungen traf und nicht einhielt, kam er ihr am nächsten Tage mit lächelndem Gesicht entgegen; entschuldigte sie sich, dann antwortete er, dass es nichts zu bedeuten habe. Er ließ sie niemals merken, dass

Weitere Kostenlose Bücher