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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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einem der Londoner Theater mit – und die seltsamen Abenteuer mit den Verlegern ihrer Romane. Philip las viel, schwamm, spielte Tennis und segelte. Anfang Oktober kam er nach London und machte sich an die Vorbereitung für sein zweites Examen. Es lag ihm viel daran zu bestehen, denn das bedeutete das Ende des starren Stundenplans; danach durften die Studenten die Bücher in der Poliklinik führen und mit Männern und Frauen arbeiten, nicht nur mit Lehrbüchern. Philip sah Norah täglich.
    Lawson hatte den Sommer in Poole verlebt und hatte eine Anzahl Skizzen vorzuweisen, die er vom Hafen und vom Strand gemacht hatte. Er hatte ein paar Porträtaufträge und wollte, bis das schlechte Licht ihn vertrieb, in London bleiben. Hayward, der ebenfalls in London war, plante, den Winter auf dem Kontinent zuzubringen, blieb jedoch Woche um Woche aus reiner Entschlussunfähigkeit. Hayward hatte in den letzten zwei bis drei Jahren Fett angesetzt – es war fünf Jahre her, dass Philip ihn in Heidelberg kennengelernt hatte –, und er war vorzeitig kahl. Er war in dieser Hinsicht sehr empfindlich und trug sein Haar lang, um die peinliche Stelle auf dem Kopf zu verdecken. Sein einziger Trost war, dass seine Stirn jetzt sehr edel aussah. Die blauen Augen hatten ihre Farbe verloren und sein Mund die Fülle der Jugend: Er war schwach und blass. Hayward sprach noch immer in unbestimmten Andeutungen über all die Dinge, die er künftig tun würde, aber es stand weniger Überzeugungskraft dahinter; er spürte, dass seine Freunde nicht mehr an ihn glaubten. Wenn er zwei oder drei Glas Whisky getrunken hatte, neigte er dazu, sich elegisch zu geben.
    »Ich bin ein Versager«, murmelte er. »Ich eigne mich nicht für die Brutalität des Lebenskampfes. Alles, was mir zu tun bleibt, ist, beiseitezutreten und die gewöhnliche Masse, die den guten Dingen hinterherjagt, vorbeihasten zu lassen.«
    Er tat so, als wäre es feiner, vornehmer, ein Versager zu sein, als Erfolg zu haben. Er deutete an, dass seine Reserviertheit nur aus dem Ekel gegenüber allem Gemeinen und Niedrigen kam. Er sprach mit schönen Worten über Platon.
    »Ich finde, du könntest mit Platon jetzt allmählich fertig sein«, sagte Philip ungeduldig.
    »So?«, fragte er und zog die Augenbrauen hoch.
    Er zeigte keinerlei Neigung, das Thema weiterzuverfolgen. Er hatte kürzlich die wirkungsvolle Würde des Schweigens entdeckt.
    »Ich sehe nicht ein, was es bringen soll, dieselben Bücher immer und immer wieder zu lesen«, sagte Philip. »Das ist nur eine sehr geschäftige Form der Trägheit.«
    »Bildest du dir vielleicht ein, dass du einen äußerst tiefgründigen Schriftsteller beim ersten Lesen verstehen kannst?«
    »Ich will ihn gar nicht verstehen. Ich bin kein Kritiker. Ich habe nicht seinet-, sondern meinetwegen Interesse an ihm.«
    »Warum liest du dann überhaupt?«
    »Teilweise zum Vergnügen, weil es eine angenehme Gewohnheit ist, und weil ich mich genauso unbehaglich fühle, wenn ich nicht lese, wie wenn ich nicht rauche; und teilweise, weil ich mich selbst kennenlernen möchte. Wenn ich ein Buch lese, so scheinen zuerst nur meine Augen zu lesen, aber dann treffe ich hin und wieder einmal eine Stelle, vielleicht auch nur einen einzigen Satz, der mir etwas sagt, und so wird es ein Teil von mir. Ich habe aus dem Buch dann alles, was für mich von Nutzen ist, herausgeholt, und mehr kann ich nicht bekommen, auch wenn ich es noch ein dutzend Mal lese. Weißt du, mir scheint es, als sei man eine geschlossene Knospe, und das meiste, was man liest und tut, hat überhaupt keine Wirkung; aber es gibt gewisse Dinge, die eine besondere Bedeutung haben, durch sie wird ein Blütenblatt geöffnet, und so öffnen sich die Blütenblätter eines um das andere, und schließlich ist eine volle Blüte da.«
    Philip war nicht glücklich über diesen Vergleich, aber er wusste nicht, wie er das, was er fühlte und worüber er sich noch nicht ganz im Klaren war, anders hätte erklären sollen.
    »Du möchtest etwas tun, du möchtest etwas werden«, sagte Hayward. »Es ist so gewöhnlich.«
    Philip kannte Hayward mittlerweile recht gut. Er war schwach und eitel, so eitel, dass man sich ständig in Acht nehmen musste, um seine Eitelkeit nicht zu verletzen. Müßiggang und Idealismus brachte er so durcheinander, dass er sie kaum auseinanderhalten konnte. Eines Tages traf er in Lawsons Atelier einen Journalisten, der von seinen Reden ganz bezaubert war. Eine Woche darauf schrieb ihm der

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