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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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der Willensfreiheit ist in meinem Denken sehr stark, so dass ich nicht davon loskomme; aber ich glaube, es ist eben nur eine Illusion. Allerdings ist sie eine Illusion, die einer der wichtigsten Beweggründe meiner Handlungen bildet. Ehe ich etwas tue, habe ich ein Gefühl, als hätte ich die freie Wahl, und dieses Gefühl beeinflusst mein Tun; aber später, wenn die Sache getan ist, glaube ich, dass sie von aller Ewigkeit her so bestimmt und unvermeidlich war.«
    »Was schließen Sie daraus?«
    »Nun – nur, dass jedes Bedauern hinterher sinn- und zwecklos ist. Es hat keinen Sinn, über verschüttete Milch zu jammern, wenn alle Kräfte des Universums darauf hinarbeiteten, dass sie verschüttet wird.«
    68
     
    Eines Morgens, beim Aufstehen, hatte Philip ein Schwindelgefühl. Als er sich wieder zu Bett legte, wurde ihm klar, dass er krank war. Alle seine Glieder taten ihm weh, und es schüttelte ihn vor Kälte. Als die Wirtin sein Frühstück brachte, rief er ihr durch die offene Tür zu, er fühle sich nicht wohl und bitte um eine Tasse Tee und ein Stück Toast. Ein paar Augenblicke später klopfte es, und Griffith trat ein. Sie hatten über ein Jahr im gleichen Hause gewohnt, sich jedoch höchstens mit einem Kopfnicken auf dem Flur gegrüßt.
    »Ich habe eben gehört, Ihnen ist elend«, sagte Griffith. »Da habe ich gedacht, ich will lieber mal nachsehen, was los ist.«
    Philip, der aus ihm unerklärlichen Gründen errötete, suchte seinen Zustand zu bagatellisieren. Er würde nach ein, zwei Stunden schon wieder auf dem Damm sein.
    »Immerhin ist es wohl das Beste, wenn ich mal Ihre Temperatur messe«, sagte Griffith.
    »Das ist ganz unnötig«, antwortete Philip nervös.
    »Na los!«
    Philip nahm das Thermometer in den Mund. Griffith setzte sich auf den Bettrand und schwatzte fröhlich ein Weilchen, dann nahm er das Thermometer und betrachtete es.
    »Nun, alter Freund, Sie müssen im Bett bleiben, und ich bringe den alten Deacon her, damit er mal nach Ihnen sieht.«
    »Unsinn«, sagte Philip. »Es ist eigentlich gar nichts, machen Sie sich wegen mir keine Umstände.«
    »Es sind keine Umstände. Sie haben Fieber und müssen im Bett bleiben. Das werden Sie doch tun, oder?«
    Seine Art hatte einen besonderen Charme, eine Mischung aus Ernst und Freundlichkeit, die äußerst anziehend war.
    »Sie haben eine wundervolle Art, mit Kranken umzugehen«, murmelte Philip und schloss lächelnd die Augen.
    Griffith schüttelte ihm das Kissen auf, glättete schnell und geschickt die Betttücher und packte ihn ein. Er ging in Philips Wohnzimmer, um sich nach einem Siphon umzusehen, konnte keinen finden und holte einen aus seinem Zimmer. Er ließ die Jalousien herunter.
    »So, jetzt schlafen Sie, und dann bringe ich den alten Herrn her, sobald er mit der Visite fertig ist.«
    Philip war zumute, als müssten Stunden vergangen sein, ehe jemand kam, um nach ihm zu sehen. Der Kopf schmerzte, als würde er zerspringen, Angst saß ihm in den Gliedern; er fürchtete, er werde anfangen zu weinen. Dann klopfte es, und Griffith, gesund und fröhlich, trat ein.
    »Doktor Deacon ist da«, sagte er.
    Der Arzt kam zu ihm, ein ältlicher Herr mit freundlichem Wesen, den Philip nur vom Sehen kannte. Ein paar Fragen, eine kurze Untersuchung und dann die Diagnose.
    »Was glauben Sie?«, fragte er Griffith mit einem Lächeln.
    »Influenza.«
    »Sehr richtig.«
    Doktor Deacon sah sich in dem dunklen Mietzimmer um. »Möchten Sie nicht lieber ins Krankenhaus gehen? Man würde Sie auf die Privatstation legen, und Sie könnten besser betreut werden als hier.«
    »Ich bleibe lieber hier«, sagte Philip.
    Er wollte nicht gestört werden und hatte eine Scheu vor neuen Umgebungen. Die Vorstellung, dass Pflegerinnen unnötiges Aufhebens um ihn machten, und die trostlose Sauberkeit eines Krankenhauses gefielen ihm nicht.
    »Ich kann nach ihm sehen, Herr Doktor«, sagte Griffith sofort.
    »Nun, meinetwegen.«
    Er schrieb ein Rezept aus, gab seine Anweisungen und ging.
    »So, jetzt werden Sie genau das tun, was ich Ihnen sage«, sagte Griffith. »Ich bin Tages- und Nachtschwester in einem.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich brauche nichts«, sagte Philip.
    Griffith legte die Hand auf Philips Stirn, und die Berührung dieser großen, kühlen, trockenen Hand fühlte sich gut an.
    »Ich gehe eben zur Apotheke hinüber, um die Medizin vorbereiten zu lassen, und dann komme ich zurück.«
    Nach kurzer Zeit brachte er die Medizin und gab Philip davon.

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