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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Kerl, du musst eine scheußliche Zeit durchgemacht haben«, sagte sie leise, und um ihre Anteilnahme deutlicher zu zeigen, legte sie ihm die Hand auf die Schulter.
    Er nahm sie und küsste sie, aber sie zog sie schnell zurück.
    »Warum hast du das getan?«, fragte sie errötend.
    »Hast du etwas dagegen?«
    Sie sah ihn einen Augenblick mit blinkenden Augen an und lächelte.
    »Nein«, sagte sie.
    Er erhob sich auf die Knie und sah ihr ins Gesicht. Sie blickte ihm gerade in die Augen, auf ihrem breiten Mund zitterte ein Lächeln.
    »Also?«, sagte sie.
    »Weißt du, du bist ein famoser Kerl. Ich bin dir so dankbar dafür, dass du so nett zu mir bist. Ich habe dich so gern.«
    »Sei kein Idiot«, sagte sie.
    Philip ergriff sie bei den Ellbogen und zog sie an sich. Sie leistete keinen Widerstand, sondern beugte sich ein wenig vor, und er küsste ihre roten Lippen.
    »Warum hast du das getan?«, fragte sie wieder.
    »Weil es angenehm ist.«
    Sie antwortete nicht, aber ein zärtlicher Ausdruck kam in ihre Augen, und sie strich ihm weich mit der Hand über das Haar.
    »Weißt du, es ist schrecklich töricht von dir, dass du das tust. Wir waren so gute Freunde. Es wäre schön, wenn es dabei bliebe.«
    »Wenn dir wirklich daran liegt, an mein besseres Ich zu appellieren«, entgegnete Philip, »wäre es gescheiter, wenn du solange aufhörst, mir die Wange zu streicheln.«
    Sie lachte leise auf, fuhr aber dennoch fort, ihn zu streicheln.
    »Es ist ganz falsch von mir, nicht wahr?«, sagte sie.
    Philip blickte ihr, überrascht und leicht belustigt, in die Augen. Sie wurden unter seinen Blicken weich und sanft, ein Ausdruck lag darin, der ihn verzauberte. Sein Herz regte sich, und plötzlich traten ihm die Tränen in die Augen.
    »Norah, bist du in mich verliebt?«, fragte er ungläubig.
    »Du kluger Junge, was du doch für dumme Fragen stellst.«
    »Ach, du Liebe, daran habe ich nie gedacht.«
    Er warf die Arme um sie und küsste sie; sie ergab sich unter Lachen, Erröten und Weinen bereitwillig seiner Umarmung.
    Dann ließ er sie auf einmal los, hockte sich auf die Fersen und sah sie voll Verwunderung an.
    »Da hört doch alles auf!«, sagte er.
    »Wieso?«
    »Ich bin so überrascht.«
    »Angenehm?«
    »Natürlich«, rief er aus vollem Herzen. »Ich bin so stolz und so glücklich und so dankbar.«
    Er nahm ihre Hände und bedeckte sie mit Küssen. Es war der Anfang eines Glückes für Philip, das so echt wie dauerhaft schien. Sie wurden Liebende und blieben dennoch Freunde. Norah besaß einen mütterlichen Instinkt, der von der Liebe zu Philip befriedigt wurde. Sie brauchte jemanden zum Verhätscheln, zum Schelten, zum Betreuen; sie war häuslich, und es bereitete ihr Freude, sich um seine Gesundheit und seine Wäsche zu kümmern. Sie hatte Mitleid mit seiner Verkrüppelung, deretwegen er so empfindlich war, und ihr Mitleid wurde instinktiv zur Zärtlichkeit. Sie war jung, kräftig und gesund, und es schien ihr ganz natürlich, ihm ihre Liebe zu schenken. Sie war hochherzig und hatte eine fröhliche Seele. Sie mochte Philip gern, weil er mit ihr über all die komischen Dinge lachte, die sie im Leben aufspürte. Vor allem aber hatte sie ihn gern, weil er eben er war.
    Als sie ihm das sagte, antwortete er fröhlich:
    »Unsinn. Du magst mich gern, weil ich so schweigsam bin und nicht dreinreden will.«
    Philip liebte sie nicht. Er mochte sie außerordentlich gern, er war gern mit ihr zusammen und hörte ihren Gesprächen belustigt und mit Interesse zu. Sie stellte seinen Glauben an sich selbst wieder her und legte heilenden Balsam auf sein verwundetes Herz. Er fühlte sich äußerst geschmeichelt, weil sie ihn gernhatte. Er bewunderte ihren Mut, ihren Optimismus, die Art, wie sie ihrem Schicksal keck die Stirne bot. Sie hatte sich eine eigene kleine Lebensphilosophie zurechtgemacht, naiv und praktisch.
    »Weißt du, ich glaube nicht an Kirchen und Pfarrer und all das«, sagte sie, »aber ich glaube an Gott, und ich glaube, dass es Ihm nicht viel ausmacht, was du tust, wenn du dich nur tapfer durchschlägst und hilfst, wo du kannst. Und ich finde, dass die Menschen im Allgemeinen sehr nett sind, und die, die es nicht sind, tun mir leid.«
    »Und was kommt nachher?«, fragte Philip.
    »Ach, nun… Das weiß ich nicht so genau« – sie lächelte –, »aber ich hoffe das Beste. Jedenfalls wird dort keine Miete zu bezahlen und werden keine Groschenromane zu schreiben sein.«
    Sie hatte die weibliche Gabe unaufdringlicher

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