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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Herausgeber der Zeitung und schlug ihm vor, dass er Kritiken für ihn schreiben solle. Achtundvierzig Stunden lang lebte Hayward nun in der Qual der Unentschlossenheit. Er hatte so lange geredet, er wolle eine Beschäftigung finden, dass er sich schämte, das Angebot einfach auszuschlagen. Der Gedanke jedoch an irgendeine Arbeit erfüllte ihn mit panischem Schrecken. Schließlich lehnte er das Angebot dennoch ab und atmete erleichtert auf.
    »Es hätte mich bei meiner Arbeit gestört«, sagte er zu Philip.
    »Was für eine Arbeit?«, fragte Philip brutal.
    »Mein inneres Leben«, antwortete er darauf.
    Dann sagte er wunderbare Dinge über Amiel, einen Professor aus Genf, dessen Genialität Erfolge versprochen hatte, die er niemals erreichte; bis bei seinem Tod der Grund seines vermeintlichen Scheiterns und die Entschuldigung dafür in einem exakten, wunderbaren Tagebuch offenbar wurden, das unter seinen Papieren gefunden worden war. Hayward lächelte vielsagend.
    Aber noch immer konnte Hayward ganz herrlich über Bücher reden. Er hatte einen erlesenen Geschmack, und sein Urteil war äußerst fein. Er interessierte sich beständig für neue Ideen und war deshalb ein sehr unterhaltsamer Gesellschafter. In Wirklichkeit allerdings bedeuteten sie ihm sehr wenig, da sie niemals seine Lebensführung auch nur im Geringsten beeinflussten. Er ging mit ihnen um, als handelte es sich um altes, zur Versteigerung freigegebenes Porzellan. Er befühlte sie genießerisch und freute sich an ihrer Form, ihrer Oberfläche, schätzte in Gedanken ihren Wert ab, und sobald er sie in die Vitrinenfächer zurückgestellt hatte, dachte er nie wieder daran.
    Und doch war es gerade Hayward, der eine ungeheure Entdeckung machte. Er nahm Philip und Lawson eines Abends nach gebührender Vorbereitung in ein Restaurant in der Beak Street mit, das nicht nur wegen seiner geschichtlichen Bedeutung bemerkenswert war (es hatte ein glorreiches achtzehntes Jahrhundert erlebt, das die romantische Phantasie anregte), sondern auch wegen seines Schnupftabaks, des besten in ganz London, und ganz besonders wegen seines Punsches. Hayward führte sie in einen langen, großen Raum, der früher sehr prunkvoll gewesen war. An den Wänden hingen riesige Bilder nackter Frauen: Allegorien aus der Schule von Haydon; doch hatten der Rauch, das Gas und die Londoner Atmosphäre ihnen eine Patina gegeben, die sie wie von alten Meistern wirken ließ. Die dunkle Täfelung, das fleckig gewordene Gold des Gesimses und die Mahagonitische gaben dem Raum einen Anstrich von kostbarer Pracht, und die ledergepolsterten Bänke, die sich an den Wänden entlangzogen, waren weich und bequem. Auf einem Tisch gegenüber der Tür stand ein Widderkopf, und darin war der berühmte Schnupftabak enthalten. Sie bestellten Punsch. Sie tranken ihn. Es war heißer Rumpunsch. Die Feder versagt, wenn man seine Herrlichkeit zu beschreiben versucht; der nüchterne Wortschatz, die knappen Beiwörter dieser Erzählung sind der Aufgabe nicht gewachsen. Pompöse Ausdrücke, ausgeschmückte exotische Sätze schießen in die erregte Phantasie. Er wärmte das Blut und machte den Kopf klar. Er erfüllte die Seele mit Wohlbehagen, er machte den Verstand äußerst geistvoll und gab ihm zugleich das nötige Verständnis für den Scharfsinn der andern; er vereinte das Unbestimmte der Musik und zugleich die präzise Bestimmtheit der Mathematik. Nur eine seiner Eigenschaften ließ einen Vergleich zu: Er hatte die Wärme eines guten Herzens; sein Geschmack jedoch, der Duft, das Gefühl im Gaumen – kann mit Worten nicht beschrieben werden. Charles Lamb, hätte er es versucht, hätte mit seinem unendlichen Taktgefühl wunderbare Bilder seiner Zeit erstehen lassen; Lord Byron hätte in einer Strophe von Don Juan, das Unmögliche versuchend, Erhabenheit erreichen können; Oscar Wilde hätte, indem er die Juwelen von Isfahan auf byzantinischen Brokat häufte, eine alle Sinne verwirrende Schönheit erschaffen. Unter diesen Eindrücken schwirrte der Geist in Visionen der Festmahle des Elagabals; und die zarten Harmonien Debussys vermischten sich mit dem muffigen, romantischen Duft alter Truhen, in denen Kleider, Halskrausen, Wämse einer vergessenen Generation aufbewahrt werden, und dem blassen Duft von Maiglöckchen und dem Geschmack von Cheddar-Käse.
    Hayward hatte die Taverne, in der es dieses unbezahlbare Getränk gab, entdeckt, weil er eines Tages einen Mann namens Macalister getroffen hatte, der mit ihm zusammen in

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