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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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wurde, und ging wieder hin. Mrs.   Nesbit war erst fünfundzwanzig Jahre alt, sehr klein, mit einem hässlichen, aber freundlichen Gesicht. Sie hatte leuchtende Augen, hervortretende Backenknochen und einen breiten Mund. Der scharfe Gegensatz der Farben erinnerte irgendwie an das Bild eines der modernen französischen Maler: Ihre Haut war sehr hell, ihre Wangen sehr rot, ihre dichten Augenbrauen, ihr Haar waren sehr schwarz. Die Gesamtwirkung war eigenartig, ein bisschen unnatürlich – aber keineswegs unangenehm. Sie hatte sich von ihrem Mann getrennt und verdiente ihren Lebensunterhalt für sich und ihr Kind durch das Schreiben von Groschenromanen. Ein oder zwei Verleger hatten sich darauf spezialisiert, und sie hatte so viel zu tun, wie sie nur schaffen konnte. Die Arbeit wurde schlecht bezahlt – sie bekam fünfzehn Pfund für eine solche Geschichte mit dreißigtausend Worten –, aber sie war zufrieden damit.
    »Immerhin«, sagte sie, »die Leser brauchen nur zwei Pennys dafür zu bezahlen, und sie hören immer wieder gern die gleichen Geschichten. Ich erfinde neue Namen, und das ist alles. Wenn es mich einmal langweilt, denke ich an die Wäsche und die Miete und die Kleider für die Kleine, und dann mache ich weiter.«
    Außerdem war sie Statistin bei mehreren Theatern, was, wenn es Arbeit gab, auch noch fünfzehn Shilling bis eine Guinee wöchentlich einbrachte. Nach getanem Tagewerk war sie dann so müde, dass sie wie ein Murmeltier schlief. Sie verstand es, das Leben zu meistern, obgleich es nicht leicht für sie war. Mit ihrem ausgeprägten Sinn für Humor fand sie bei allem Verdrießlichen noch immer etwas zum Scherzen. Manchmal wollte es nicht klappen, dann verdiente sie gar kein Geld; in diesen Zeiten wanderten ihre kleinen Besitztümer ins Leihhaus an der Vauxhall Bridge Road. Sie aß dann so lange einfache Butterbrote, bis wieder bessere Zeiten kamen. Dabei verlor sie aber nie ihre Heiterkeit.
    Ihr bewegtes Leben interessierte Philip, und sie brachte ihn mit den phantastischen Erzählungen ihrer Kämpfe zum Lachen. Er fragte sie, warum sie sich nicht einmal in literarischen Arbeiten von etwas höherem Niveau versuchte, aber sie wusste, dass sie kein Talent hatte, und das fürchterliche Zeug, das sie – in Tausenden von Worten – produzierte, wurde nicht nur annehmbar bezahlt, sondern war auch das Beste, was sie leisten konnte. Ihr Leben würde immer nur eine Fortsetzung des Lebens sein, das sie jetzt führte – nirgendwo war ein Hoffnungsschimmer in Sicht. Sie schien keine Verwandten zu haben, und ihre Freunde waren so arm wie sie selbst.
    »Ich denke nicht an die Zukunft«, sagte sie. »Solange ich genug Geld habe, um für die nächsten drei Wochen Miete zu zahlen, und ein oder zwei Pfund extra zum Leben, mache ich mir nicht den Kopf schwer. Das Dasein wäre überhaupt nicht mehr lebenswert, wenn ich mir nicht nur über die Gegenwart, sondern auch noch um die Zukunft Sorgen machen würde. Wenn’s am schlimmsten ist, kommt plötzlich doch noch immer etwas.«
    Es wurde Philip bald zur Gewohnheit, täglich zum Tee zu ihr zu gehen; damit seine Besuche sie nicht in Verlegenheit brachten, nahm er je nachdem einen Kuchen, ein Pfund Butter oder etwas Tee mit. Sie nannten sich schließlich beim Vornamen. Weibliche Anteilnahme war ihm neu, und er war selig, jemanden gefunden zu haben, der willens war, sich seine Sorgen anzuhören. Die Stunden vergingen wie im Flug, und er verbarg seine Bewunderung für sie nicht. Sie war eine wunderbare Freundin. Unwillkürlich verglich er sie mit Mildred, und er stellte die bockige Dummheit der einen, die für nichts, wovon sie nichts wusste, Interesse zeigte, der schnellen Auffassungsgabe und Klugheit der andern gegenüber. Sein Herz zog sich zusammen, wenn er daran dachte, dass er beinahe fürs Leben an eine Frau wie Mildred gebunden gewesen wäre. Eines Abends erzählte er Norah die ganze Geschichte seiner Liebe. Diese Episode gab ihm sicher nicht viel Grund zur Selbstachtung, es war deshalb besonders nett, wie sie es aufnahm.
    »Das hast du, glaube ich, nun hinter dir«, sagte sie, als er mit seiner Erzählung fertig war.
    Sie hatte manchmal eine lustige Art, den Kopf wie ein Scotchterrier auf die Seite zu legen. Sie saß auf einem geraden Stuhl und nähte, denn sie hatte keine Zeit zum Nichtstun, und Philip hatte es sich ihr zu Füßen bequem gemacht.
    »Ich kann dir gar nicht sagen, wie von Herzen dankbar ich bin, dass das nun vorbei ist«, seufzte er.
    »Armer

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