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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Geratter des Straßenverkehrs unter den Fenstern gern.
    »Ich kann keine toten Straßen leiden, wo man den ganzen Tag keine Menschenseele zu sehen bekommt«, sagte sie. »Ich brauche ein bisschen Leben.«
    Dann zwang er sich, zum Vincent Square zu gehen. Ihm war übel von Erwartung, was ihm bevorstand, als er an der Glocke zog. Er hatte das unbehagliche Gefühl, dass er Norah schlecht behandelte, ihm graute vor Vorwürfen, er wusste, sie war leicht erregbar, und er hasste Szenen. Vielleicht war es am besten, ihr offen zu sagen, dass Mildred zurückgekommen und seine Liebe zu ihr noch genauso heftig sei wie früher. Es tue ihm sehr leid, aber er könne Norah nichts mehr bieten. Dann dachte er an ihren Kummer, denn er wusste, dass sie ihn liebte. Vorher hatte es ihm geschmeichelt, und er war ihr unsagbar dankbar dafür gewesen, aber jetzt war es schrecklich. Sie hatte es nicht verdient, dass er ihr Kummer bereitete. Er fragte sich, wie sie ihn jetzt wohl begrüßen würde, und während er die Treppen hinaufging, machte er sich auf alles Mögliche gefasst. Er klopfte an die Tür. Er fühlte, dass er bleich war, und wusste nicht, wie er seine Nervosität am besten verbergen sollte.
    Sie war fleißig am Schreiben, sprang aber gleich auf, als er eintrat.
    »Ich habe dich sofort am Schritt erkannt«, rief sie. »Wo hast du dich so lange versteckt, du böser Junge?«
    Sie kam voller Freude auf ihn zu und legte ihre Arme um seine Schulter. Sie freute sich sehr, ihn wiederzusehen. Er küsste sie und sagte dann, um sich zu fassen, dass er furchtbar durstig sei und Tee wolle. Sie schürte das Feuer, damit das Wasser schnell zum Kochen käme.
    »Ich war schrecklich beschäftigt«, sagte er etwas lahm.
    Sie fing in ihrer fröhlichen Art an zu plaudern: dass sie einen neuen Auftrag für einen Schmöker habe, und zwar für einen Verlag, für den sie bisher noch nichts geschrieben habe. Sie würde fünfzehn Guineen dafür bekommen.
    »Dieses Geld schickt der Himmel. Ich weiß, was wir damit machen. Wir leisten uns einen kleinen Ausflug. Wir fahren zusammen nach Oxford, ja? Ich würde so gerne einmal die Universität sehen.«
    Er sah sie an, um herauszufinden, ob ein Schatten von Vorwurf in ihren Augen lag, aber sie waren so frei und heiter wie immer; sie war voller Freude, dass er da war. Das Herz war ihm schwer. Er brachte es nicht fertig, ihr die grausame Wahrheit zu sagen. Sie machte ihm etwas Toast zurecht, schnitt ihn in kleine Happen und gab sie ihm, als wäre er ein Kind.
    »Ist die Bestie nun gesättigt?«, fragte sie.
    Er nickte lächelnd, und sie zündete ihm eine Zigarette an. Dann kam sie zu ihm und setzte sich, wie sie das gerne tat, auf seinen Schoß. Sie war sehr leicht. Sie lehnte sich mit einem Seufzer tiefen Glücks in seine Arme zurück.
    »Sag mir etwas Nettes«, murmelte sie.
    »Was soll ich denn sagen?«
    »Du könntest vielleicht, wenn du deine Phantasie sehr anstrengst, sagen, dass du mich ziemlich gern hast.«
    »Das weißt du ja.«
    Er hatte einfach nicht den Mut, ihr jetzt seine Eröffnung zu machen. Er wollte ihr wenigstens den Frieden für diesen Tag lassen, und vielleicht würde er ihr besser schreiben. Das war leichter. Er konnte den Gedanken, dass sie weinte, nicht ertragen. Sie ließ sich von ihm küssen, aber während er sie küsste, dachte er an Mildred und ihre schmalen, blassen Lippen. Er wurde die Erinnerung an Mildred die ganze Zeit über nicht los, sie war da wie eine körperlose Gestalt, aber doch greifbarer als ein Schatten, und dieses Bild lenkte ihn beständig ab.
    »Du bist heute sehr still«, sagte Norah.
    Ihre Redseligkeit war die Ursache ständiger Neckerei zwischen ihnen, und so antwortete er:
    »Du lässt mich nie zu Wort kommen. Ich habe mir das Sprechen schon ganz abgewöhnt.«
    »Aber du hörst auch nicht zu, und das ist ein ungehöriges Betragen.«
    Er wurde ein bisschen rot und war nicht sicher, ob sie sein Geheimnis erahnte oder nicht; unbehaglich wandte er seinen Blick ab. Ihr Gewicht lastete heute auf ihm, und er wollte nicht, dass sie ihn berührte.
    »Mein Fuß ist eingeschlafen«, sagte er.
    »Das tut mir leid«, rief sie und sprang auf. »Ich muss eine Diät machen, wenn ich die Gewohnheit, Männern auf den Knien zu sitzen, nicht aufgeben kann.«
    Er tat alles, was man bei eingeschlafenen Füßen zu tun pflegt, stampfte mit dem Fuß auf und wanderte umher. Dann stellte er sich vor das Fenster, damit sie ihre alte Stellung nicht wieder einnehmen konnte. Während sie sprach,

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