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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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im Stich zu lassen.«
    »Ich habe meinen Stolz.«

Es war eine etwas peinliche Lage für Philip. Er musste auf strengste Sparsamkeit achten, sollte das Geld, das ihm noch geblieben war, bis nach dem Examen reichen. Und es musste ihm sogar noch etwas übrig bleiben für das Jahr, das er als Krankenhausarzt oder chirurgischer Assistenzarzt entweder in seinem jetzigen oder in einem anderen Krankenhaus verbringen wollte. Aber Mildred hatte ihm so viele Geschichten über Emils Gemeinheit erzählt, dass er keine Einwände machte, aus Angst, sie würde ihn auch des Mangels an Großzügigkeit bezichtigen.
    »Ich würde keinen Penny von ihm annehmen. Lieber gehe ich betteln. Ich hätte mich schon längst nach Arbeit umgesehen, aber es würde mir in dem Zustand, in dem ich bin, nicht guttun. Man muss an seine Gesundheit denken, nicht?«
    »Du brauchst dir wegen der Gegenwart keine Sorgen zu machen. Ich kann dir alles geben, was du brauchst, bis du wieder arbeiten kannst«, sagte Philip.
    »Ich wusste ja, dass ich mich auf dich verlassen kann. Ich habe Emil immer gesagt, er soll sich nicht etwa einbilden, dass ich niemanden habe, zu dem ich gehen kann. Ich habe ihm gesagt, dass du ein Gentleman bist, in jedem Sinn des Wortes.«
    Nach und nach erfuhr Philip, wie es zu der Trennung gekommen war. Allem Anschein nach hatte Millers Frau das Abenteuer entdeckt, das er während seiner zeitweiligen Besuche in London führte; sie war zum Chef seiner Firma gegangen. Sie drohte Emil mit Scheidung, und die Firma ließ ihn wissen, dass sie ihn dann entlassen würde. Er war seinen Kindern leidenschaftlich zugetan und konnte den Gedanken, sich von ihnen zu trennen, nicht ertragen. Als er vor die Wahl zwischen seiner Frau und seiner Freundin gestellt war, wählte er die Frau. Er hatte immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass kein Kind das Durcheinander noch schwieriger machen sollte. Als Mildred ihm dann mitteilte, was sie nicht länger vor ihm geheim halten konnte, erfüllte ihn das mit panischem Schrecken. Er brach einen Streit vom Zaun und ließ sie sitzen.
    »Wann erwartest du die Niederkunft?«, fragte Philip.
    »Anfang März.«
    »Drei Monate also noch.«
    Es war nötig, Zukunftspläne durchzusprechen. Mildred erklärte, sie würde nicht mehr in den Zimmern in Highbury wohnen bleiben, und auch Philip hielt es für praktischer, dass sie in seine Nähe zog. Er versprach ihr, dass er sich am nächsten Tag umsehen würde. Sie schlug Vauxhall Bridge Road vor, das sei eine Gegend, in der es sich gut leben ließe.
    »Und auch für nachher ist es besser«, sagte sie.
    »Was heißt das?«
    »Ich kann ja nur rund zwei Monate dableiben, denn nachher muss ich in ein Entbindungsheim. Ich kenne ein sehr anständiges, wo zumeist höhergestellte Leute sind, und sie nehmen einen für vier Guineen die Woche, alles inbegriffen. Die Arztrechnung geht natürlich extra, aber das ist alles. Eine Freundin von mir ist da gewesen, und die Dame, die das Haus führt, ist eine wirkliche Dame. Ich werde ihr wohl sagen, dass mein Mann ein Offizier in Indien ist und dass ich wegen des Kindes nach London gekommen bin, weil das für meine Gesundheit besser ist.«
    Es schien Philip unfassbar, dass sie so sprach. Mit ihren zarten Gesichtszügen und ihrem blassen Gesicht sah sie kalt und mädchenhaft aus. Wenn er an die Leidenschaften dachte, die da unversehens durchbrachen, fühlte er sich seltsam bekümmert im Herzen. Sein Puls schlug schnell.
    70
     
    Philip erwartete, bei der Rückkehr in seine Wohnung einen Brief von Norah vorzufinden, aber es war nichts da; auch am nächsten Morgen kam nichts. Dieses Schweigen irritierte und beunruhigte ihn gleichzeitig. Seit Juni vergangenen Jahres hatten sie sich täglich gesehen, wenn er in London war; und es musste ihr schon merkwürdig vorkommen, dass er zwei Tage verstreichen ließ, ohne sie zu besuchen oder ihr auch nur einen Grund für sein Fernbleiben anzugeben. Er fragte sich, ob sie ihn wohl durch einen unglücklichen Zufall mit Mildred gesehen haben könnte. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie verletzt oder gar unglücklich sei, und er entschloss sich, am Nachmittag zu ihr zu gehen. Er fühlte sich fast geneigt, ihr Vorwürfe zu machen, weil er es sich erlaubt hatte, so intim mit ihr zu werden. Der Gedanke an eine Fortsetzung ihrer Beziehung erfüllte ihn mit Widerwillen.
    Er fand zwei Zimmer für Mildred im zweiten Stock eines Hauses in der Vauxhall Bridge Road. Sie waren laut, aber er wusste, sie hatte das

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